Der Sommer ist endlich da! Im Tal flirrt die Luft, die Tage sind lang, gehen praktisch in die Überlänge und erinnern uns daran, dass jetzt die beste Zeit ist für lange Mehrseillängentouren. Wir starten die Saison mit einem Klassiker: Waidringer Steinplatte in der Bergsportregion Steinberge. Das Felsmassiv, das einzige Trockenriff Europas, ragt mit seinen sieben Kilometern Länge und einer Höhe von bis zu 250 Metern wie ein Kletter-Leuchtturm aus der Landschaft. Vorfreude schon bei der Anfahrt, feuchte Hände und ein hüpfendes Herz. Steinplatte, wir kommen!
Waidringer Steinplatte: Sieben Kilometer pures Klettervergnügen
Zwischen Waidring und Lofer zieht sich, weithin vom Tal sichtbar, ein gut sieben Kilometer langes Felsband mit bis zu 250 Meter Höhe, dessen außerordentlich gute Felsqualität sich von Weitem erahnen lässt – die Steinplatte. Egal, ob Sportkletterer oder Alpinist, motivierter Anfänger oder versierter Profi, in über 800 Kletterrouten findet hier jeder seinen Platz. Da gibt es Klettergärten, Mehrseillängentouren für Genusskletterer (5. und 6. Schwierigkeitsgrad), luftig, alpine Sportkletterrouten bis zum 9. Grad und Routen in allen Schwierigkeitsbereichen, die selbst abgesichert werden müssen.
Unten plattig, oben griffig
Hat man sich dann für eine der unzähligen Routen entschieden, geht es unten am Wandfuß eher plattig los, nach oben wird es dann immer steiler, ausgesetzter und unglaublich griffig – so lässt sich die Kletterei am zentralen Pfeiler der Steinplatte in Kürze zusammenfassen. In den obersten Seillängen erreicht man schließlich fantastisch griffigen Fels, übersät mit einer unglaublichen Lochvielfalt, die in der weiteren Umgebung ihresgleichen sucht. Dass die Absicherung über weite Strecken mit Sanduhren erfolgen kann, zeigt, wie griffig der Fels ist. Beim Klettern der letzten Seillänge kommt unwillkürlich der Gedanke auf, sich im Verdon-Style noch einmal von oben in die benachbarten Ausstiege abzuseilen, um auch diesen Deluxe-Fels noch unter die Finger zu bekommen.
Ein Kletterparadies für jeden Anspruch
Wenn man vom Parkplatz der Mautstraße zu den Einstiegen hinüberquert, kommt man erst einmal an einigen Sportklettersektoren bzw. recht kurzen, dafür aber umso knackigeren Mehrseillängen-Routen vorbei. Hier ist die Spielwiese der Kletterer, die sich im 8. Grad aufwärts wohlfühlen. Je mehr man nach Osten quert, umso weiter nimmt die Wandhöhe zu. Dafür lehnt sich der Fels aber etwas nach hinten, sodass man am zentralen Pfeiler schließlich bilderbuchmäßiges 200 Meter hohes Plaisirgelände erreicht. Klassiker mit gemäßigten Schwierigkeiten im 6. und 7. Grad locken den Großteil der Steinplatte-Aspiranten hierher. Zusammen mit dem ausgezeichneten Riffkalk verschmelzen sie zu einer harmonischen Klettersymbiose.
Mäusejagen: Ironmouse und Ironlaus
Auf engstem Raum kann man hier zwischen den unterschiedlichsten Absicherungsstilen wählen. Zwei der Oberklassiker in diesem Wandbereich stehen sinnbildlich dafür: Während es in der „Ironmouse“ ein wenig sportlicher im 7. Grad zur Sache geht, sorgen hier Bohrhaken in angemessenen Abständen dafür, dass das Stresslevel nicht zu hoch steigt. In der direkt links daneben verlaufenden Ironlaus (6. Grad) ist dagegen viel mehr Eigenengagement bei der Absicherung gefragt, sodass der Gesamtanspruch sicher ähnlich hoch ist: Hier sind nur die neuralgischsten Stellen mit Bohrhaken abgesichert, mehr als ein bis drei davon finden sich nicht pro Seillänge. Ein gesamter Satz Keile und Friends gehört also unbedingt an den Gurt. Und einsteigen sollte nur derjenige, der sich dem 6. Schwierigkeitsgrad in alpinem Gelände absolut gewachsen fühlt.
Zwischen Routenvielfalt und „Netzstörung“
Beide Routen verdeutlichen exemplarisch auch den einzigen Wermutstropfen an der Steinplatte: Denn bei beiden handelt es sich nicht um eigenständige Routen, sondern um Kombinationen unterschiedlichster Gesamtdurchstiege oder sogar nur einzelner Seillängen. Vor allem am zentralen Pfeiler überzieht inzwischen ein derart dichtes, sich überkreuzendes Routennetz die Wand, dass auch versierte Alpinkletterer unterwegs immer wieder einen Blick ins Topo werfen sollten, um nicht aus Versehen in die falsche Route abzubiegen oder einer neuen Bohrhakenlinie nachzujagen. Der Autor des Gebietsführers „Steinplatte“, Adi Stocker, plädiert deswegen dafür, es bei den erschlossenen Touren zu belassen.
Andererseits bietet diese Routenvielfalt den großen Vorteil, auch unterwegs, je nach Kraftreserven und Zeitplan in eine schwierigere Abkürzung oder eine einfachere Umleitung abzubiegen. Und gerade im oberen Teil der Wand – wenn die Ausgesetztheit zunimmt, der Fels aufsteilt, die Schwierigkeit aber durch die unglaubliche Griffvielfalt nicht zunimmt – besteht die Kunst der Steinplattenkletterei ohnehin darin, möglichst viele der in Erinnerung bleibenden Seillängen in eine große Variante zusammenzupacken.
Nach dem Klettern ist vor dem Baden
Was gibt es Schöneres, als nach einer langen Mehrseillängentour den aufgeheizten Körper im kühlen Nass eine Erfrischung zu ermöglichen? Genau: keine! Und deswegen Badeklamotten mitnehmen und nix wie nach St. Ulrich an den Pillersee. Rein ins Wasser und treiben lassen. Den Kühen beim Grasen zugucken, sich ein Stand-up-Board leihen und auf dem See entlang tümpeln. Die Idylle genießen und noch ein bisschen dem Klettertag nachsinnen – ein Sommertraum. Wer es lieber kleiner bevorzugt: Der Wiesensee ist ebenfalls ein kleines Juwel in der Region. Neben dem kleinen Weiher kann man auch in aller Kneipp-Manier seine Wadel ins kalte Wasser tauchen, und wer immer noch Kletterlust hat, steigt noch in die eine oder andere Sportkletterroute am gleichnamigen Klettergarten – der netterweise in unmittelbarer Nähe zum Wasser liegt. Die Tage sind lang, die Nächte kurz – Zeit, den Sommer voll auszukosten.
Tipps und weitere Infos
Brotzeit:
Die Stallenalm liegt bereits im Skigebiet der Steinplatte und ist vom Parkplatz Steinplatte aus kommend nur zehn Gehminuten entfernt. Die Hütte ist eine satte Jausenstation mit Tiroler Skihüttenflair und liegt ebenso auf dem Rückweg nach einem langen Klettertag. Wer nach dem Baden Hunger bekommt, kann am Pillersee einkehren oder fährt ein Stück zurück Richtung Waidring und kehrt im Adolariwirt ein. Am Wiesensee ist der Wiesenseehof eine gute Adresse für Kaffee, Kuchen oder was Deftiges.
Übernachten:
In der Ferienregion PillerseeTal gibt es eine Fülle an Unterkünften – vom Wellnesshotel bis zur Ferienwohnung. Besonders zu empfehlen ist der Traditionsgasthof und Kletterertreff Adolariwirt südlich von Waidring Richtung St. Ulrich am Pillersee.
Tipps:
Wer im Tal nächtigt, der spart sich den langen Zustieg, wenn er die Steinplatten-Gondel nimmt. Von der Bergstation führt ein kurzer, aber steiler, versicherter Steig an Leitern und Tritten hinunter Richtung Wandfuß.
Hier spaziert man auch durch den „Triassic Park“, einen interaktiven Outdoor-Freizeitpark für Familien. Vor 200 Millionen Jahren befand sich in der Region Steinplatte das Urmeer Tethys. Die urzeitlichen Wunder haben die Macher hier anschaulich und kindgerecht aufbereitet. Als Kletterer taucht man in eine andere Welt ein, für die kleinen Familienmitglieder ist aber sicherlich Abenteuer für große Augen geboten. www.triassicpark.at