Seit Anna Stöhr ihre Wettkampfkarriere beendet hat, hat sich der mediale Wirbel um die Tirolerin beruhigt. Doch das heißt noch lange nicht, dass Anna es ebenfalls ruhiger angeht. Wir haben uns mit ihr getroffen und über ihren neuen Kletter-Lifestyle gesprochen.
Anna hat kurz vor der Heim-WM in Innsbruck ihre Wettkampfkarriere beendet. Eine Entscheidung ihrer Gesundheit zuliebe. Wehmut konnte man trotzdem in Annas Gesichtsausdruck erkennen, als sie 2018 die Nachricht ihres Karriere-Aus preisgab.
Doch wen überrascht das auch? Schließlich war die Tirolerin die erfolgreichste Wettkampf-Boulderin ihrer Zeit. Glücklicherweise bedeutet ein Wettkampf-Aus im Klettern noch lange nicht, dass man sich vom Sport verabschiedet. Ganz im Gegenteil!
Im Februar 2018 hast du dich an den Bandscheiben verletzt. Knapp danach hast du dein Wettkampf-Aus angekündigt, was sicherlich vieles verändert hat. Bereust du die Entscheidung manchmal?
Anna Stöhr: Eigentlich bereue ich die Entscheidung nicht. Ich habe auch vor meiner Verletzung schon darüber nachgedacht, die Karriere zu beenden. Dass der Unfall dem zuvorkam, hat den Prozess lediglich beschleunigt, aber die Entscheidung war klar und rational: Wenn ich noch lange klettern möchte, was der Fall ist, muss ich aufhören mit dem Bouldern. Diese Disziplin ist Gift für meine Bandscheiben. Seit meiner Verletzung hat sich das Bouldern für mich auch sehr verändert. Vor allem im Wettkampf macht man oft Bewegungen am äußersten Limit. Riskante Züge auf hoher Höhe zu machen, oder generell das Abspringen vom Top, hält mein Rücken einfach nicht mehr aus. Das Teilnehmen an Wettkämpfen geht mir natürlich ab – vor allem wegen der Menschen, die man dabei immer wieder trifft. Auch das Gefühl im Finale zu stehen, vermisse ich, das war schon was ganz Besonderes. Aber nach 14 Jahren musste ich unter dieses Kapitel einen Haken machen und das ist auch in Ordnung.
Zur Zeit bist du viel mit Seil unterwegs, aber nicht nur Sportklettern, sondern auch in den Mehrseiltouren von Aiglun (Frankreich) oder an der Roten Wand (Vorarlberg) hast du bereits dein Chalk gelassen. Ist das Sportklettern – vielleicht sogar das alpine Sportklettern – deine „wahre“ Passion?
Anna Stöhr: Meine Passion ist das Klettern mit all seinen Spielarten. Gerade diese Vielseitigkeit der Sportart hat mich schon immer zum Klettern hingezogen, es wird einfach nicht langweilig. Jede Disziplin verlangt ganz unterschiedliche Fähig- und Fertigkeiten. Das alpine Sportklettern beispielsweise ist auf einer ganz anderen – für mich neuen Ebene – anspruchsvoll. Hier spielt viel mehr Nervenkitzel mit. Es kommt eine ganz andere Dimension zum Klettern hinzu, wenn man meterweit über der letzten Absicherung steht.
Dass mein Mehrseillängen-Projekt Ali Baba (8a+) in Aiglun so gut aufging, freut mich natürlich total, trotzdem bin ich noch lange keine Babsi Zangerl, die scheinbar ganz furchtlos über den Haken steht. Mich hat Ali Baba unglaublich gefordert und ich habe bis zuletzt nicht gewusst, ob ich das Projekt realisieren kann. Ich werde mich also nicht auf diese Disziplin versteifen, aber bestimmt noch einige Male in alpinen Gegenden Klettern gehen.
Ali Baba ist ein sehr anhaltendes Ausdauerprojekt mit vielen schweren Seillängen. Trainierst du jetzt, wo du keine Wettkämpfe mehr machst, noch nach Plan für solche Projekte und generell fürs Klettern?
Anna Stöhr: Nein! Ich geh einfach sehr viel raus und klettere. Da ich aber jahrelang nach Plan trainiert habe, weiß ich ziemlich genau, was ich brauche oder wo ich aufbauen muss. Ich mach zwar keine Bauchübungen mehr oder häng mich ans Campusboard, aber ich spüre, wo etwas fehlt und kann das gezielt kompensieren.
Welche Ziele hast du im Klettern/ Bouldern?
Anna Stöhr: Im Moment ist mein einziges konkretes Ziel, ganz viel zu klettern. Projekte ergeben sich sowieso von selbst. Im Moment möchte ich mich nicht auf eine Route festlegen, sondern viel reisen und am Felsen unterwegs sein.
Im Rahmen deines Lehramtsstudiums hast du letztes Jahr als Lehrerin gearbeitet. Denkst du, dass du in diesen Bereich mal zurückkehren wirst, oder gibt es andere berufliche Wünsche neben/ nach dem Kletterprofi-Dasein?
Anna Stöhr: Das Unterrichten im Rahmen des Unterrichtspraktikums war für mich eine große Herausforderung und sehr spannend. In einem „richtigen“ Job tätig zu sein, ist natürlich ganz anders als die Arbeit eines Profisportlers. Als Athletin vom Klettersport zu leben, wird früher oder später ein Ende haben. Ein festes Standbein zu haben, gibt mir sehr viel Ruhe und lässt mich noch mehr im Moment leben bzw. klettern. Ich wertschätze es sehr, dass ich mich in dieser privilegierten Situation befinde und das Klettern so genießen kann. Ich hoffe, das bleibt noch eine Weile unverändert!