Wenn Jakob Schubert zu einem Wettkampf antritt, dann um zu gewinnen. So auch bei den Olympischen Spielen in Paris 2024 – wie geht man mit so einem immensen Druck überhaupt mental um? Wie trainiert man als Kletterer auf die Olympischen Spiele? Und haben diese den Klettersport bereits nachhaltig verändert? Wir haben den Tiroler Ausnahmeathleten zum Interview getroffen.
_________________________
Eine 9c-Route hat er durchstiegen, mehr gibt die Schwierigkeitsskala gar nicht her, nur drei Routen weltweit gibt es in dieser High-End-Liga. Außerdem einen Boulder, der mit 9A bewertet ist, schwerer geht es auch in dieser Kletterdisziplin nicht. Goldene Weltmeistertitel hat er gleich sechs, das ist einmaliger Rekord, genauso wie seine Gesamtweltcupsiege. Wie viele genau das nochmal waren, da muss Jakob überlegen, er hat die Zahl gar nicht mehr im Kopf. „Siebenundzwanzig? Sowas in die Richtung“, sagt er. Ach ja, eine Olympische Medaille hat er auch schon bei sich zu Hause im Schrank hängen. Kurz gesagt: Jakob Schubert zählt zu den erfolgreichsten Kletterern seiner Generation. Oder ist er vielleicht sogar der erfolgreichste?
Der 33-jährige Innsbrucker ist ein Allrounder, und bei der kommenden Olympiade in Paris 2024 ist sein Ziel ziemlich klar abgesteckt: Gold. Nicht mehr, nicht weniger. Jakob will gewinnen. Dass er mittlerweile zwar zu den Ältesten im Starterfeld zählt, ist die eine Sache. Dass er aber nach wie vor in Topform ist, hat er erst kürzlich bei seinem Sieg im Heimweltcup in Innsbruck im Juni 2024 eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Mit seinem Weltmeistertitel im Sommer 2023 in Bern konnte er sich bereits eines der begehren Olympia-Tickets frühzeitig sichern. „Das war schon eine enorme Erleichterung, vor allem, weil ich mich ab dem Zeitpunkt dann viel entspannter meinen Felsprojekten widmen konnte“, sagt Schubert. Entspannt aber höchstens in mentaler Hinsicht, denn Jakob wäre nicht Jakob, wenn nicht auch seine Ambitionen am Fels ganz, ganz oben ansetzten würden. Das heißt bei ihm konkret: Eine der schwersten Route auf dem ganzen Planeten erstbegehen, zum exklusiven „9c-Club“ zu gehören.
Gelungen ist ihm dieses Kunststück am September 2023, als er in der gigantischen Flatanger-Cave in Norwegen ein Projekt Adam Ondras knackte, es „B.I.G.“ taufte und mit 9c bewertete. Und die ganze Welt konnte live dabei sein. Denn als Experiment stellte er mit dem Stubaier Hannes Mair (alpsolut pictures) kurzerhand einen Livesteam auf seinem YouTube-Channel auf die Beine. Ob das nicht noch viel zusätzlichen Druck schaffe? „In dem Fall eigentlich nicht, ich wollte einfach alle am Prozess teilhaben lassen, und da gehört das Scheitern eben auch mit dazu. Aber natürlich war der Livestream schon was, was ich nicht bei jeder Route machen werde, aber in Norwegen passte einfach alles zusammen“, sagt Jakob Schubert.
Und weil es in Paris 2024 auch eine Medaille im Kombiwettkampf – also Lead und Bouldern zusammen – geben wird, dachte sich Jakob, dass ein bisschen Bouldern am Fels auch nicht schaden kann. Und was macht er? Er knackt im Dezember 2023 kurzerhand mit „Alphane“ einen 9A Boulder. Jakob sagt trotz seiner für einen Spitzensportler nicht mehr ganz jungen 33 Jahre: „Ich bin in der Form meines Lebens!“
Mr. Olympia
Alles in allem also gute Voraussetzungen für das große Ziel in diesem Jahr: eine Medaille in Paris, am besten eine Goldene. Im Gegensatz zu den Spielen in Tokio, wo Klettern seine olympische Premiere feierte, gibt es nun zwei Medaillenentscheidungen und nicht mehr nur eine. Wie sieht Jakob das? „Das ist auf jeden Fall ein großer Fortschritt, denn der kombinierte Wettkampf in Tokio war das reinste Chaos, man kann Speed- und Schwierigkeitsklettern einfach überhaupt nicht miteinander vergleichen. Das wäre in etwa so, als würde man beim Skifahren Abfahrt, Slalom und Tourengehen zusammenlegen. Von daher ist es gut, dass Speed jetzt eine eigene Wertung hat. Richtig zufrieden können wir Kletterer aber erst sein, wenn wir drei eigenständige Medaillenentscheidungen haben: Vorstieg, Bouldern, Speed“, sagt Jakob Schubert.
Es gibt einfach überall so unglaublich viel tollen Fels zu entdecken.
So sehr Jakob auch eine Wettkampfmaschine ist, so sehr freut er sich, wenn der ganze Olympia-Trubel vorbei ist. Denn dann hat er wieder richtig Zeit für seine Projekte am Fels. „Und das ist es ja, warum ich das Klettern so unglaublich liebe: Es wird nie langweilig, weil jeder Zug anders ist, kein Griff gleicht dem anderen, jeder Muskel im Körper wird beansprucht. Und es gibt einfach überall so unglaublich viel tollen Fels zu entdecken.“
Auch für Schubert gilt: Climbing with Respect!
Hier liegt aber auch eine der größten Herausforderungen für den Klettersport: „Allein in den letzten 20 Jahren, in denen ich jetzt intensiv klettere, ist die Zahl der Kletterer explodiert, vor allem das Hallenklettern. Viele sind früher zwei Stunden ins Fitness-Studio gegangen, jetzt geht man halt zwei Stunden klettern, weil das vielen noch mehr Spaß macht. Das ist einerseits toll, dass sich immer mehr Menschen für diesen tollen Sport begeistern. Gleichzeitig sehe ich aber auch draußen am Fels, dass all diese Menschen einen Impact auf die Natur haben. Mehr Menschen, mehr Einfluss.“ Genau hier setzt die Kampagne „Climbing with Respect“ des Climbers Paradise Tirol an – denn der Klettersport kann nur weiter wachsen, wenn dies naturverträglich geschieht.
„Sehr wichtig ist, all den neuen Kletterern unsere ungeschriebenen Regeln beizubringen: Die Natur so zu hinterlassen, wie man sie vorfindet, sich an die Zustiegswege halten und nicht auf eigene Faust querfeldeinlaufen, die vorgegebenen Parkplätze respektieren. Das wichtigste ist aber bestimmt der Hausverstand“, sagt Jakob Schubert. Wenn dies aber klappt, dann steht dem Übergang von der Halle zum Fels nichts mehr im Wege. Wichtig, findet Jakob Schubert, ist in diesem Prozess ein erfahrener Mentor, der einen mitnimmt und die Welt der Felsen zeigt. Damit man erfahren kann, dass auch Sportklettertouren am Fels relativ gefahrlos möglich ist.
Gibt es die 9c in Tirol?
Obwohl Jakob viel unterwegs ist, gibt es auch in seiner Felsheimat, dem Climbers Paradise Tirol, noch genug zu entdecken. Mit „The Flame“ (9b) konnte er letztes Jahr eine der schwierigsten Routen des Landes eröffnen, „eine der schönsten, die ich je geklettert bin“, erinnert er sich. Aber ob es in Tirol auch 9c-Potenzial gibt? Da ist sich Jakob nicht so sicher, denn „es muss einfach unglaublich viel zusammenkommen, damit eine 9c überhaupt kletterbar ist. Aber wer weiß, vielleicht gibt es ja doch irgendwo eine! Gerade aus dem Unterland hört man ja immer wieder von neuen Topgebieten, die gerade erst erschlossen werden.“
Dann bleibt nur noch eine Frage zu klären: Kalk oder Granit? „Granit“, schmunzelt Jakob, „da sind die Griffe so schön klar definiert, da bricht nichts aus, das ist einfach ein ästhetischer Fels.“ Seine liebsten Klettergebiete in Tirol liegen daher im Ötztal und im Zillertal, den Granittälern des Landes. Aber, so Jakob weiter: „Wenn es in Tirol eine 9c gibt, dann wohl im Kalk“. Man darf gespannt sein, was die Zukunft bringt.