Klettern mit Kleinkind, das hat so seine Herausforderungen. Wie schaut ein gelungener Tag draußen aus? Ein Tag am Fels hoch über Imst mit Austrialpin-Athletin Cathy Laflamme mitsamt ihrer Tochter Laura.
Es gibt so manche Lebensereignisse, die die Karriere eines Kletterers signifikant beeinflussen. Ein schwerer Unfall, der Umzug ins niederländische Flachland, die unaufhaltsame Brutalität des Älterwerdens. Und dann ist da noch die mit Abstand schönste Wendung im Leben eines Kletterers: Die Geburt eines Kindes.
Nicht anders erging es Cathrine „Cathy“ Laflamme. Die gebürtige Kanadierin lebt seit mehr als zehn Jahren in Innsbruck und ist seit 2014 Mitglied des Austrialpin-Athletenteams. Zum Klettern kam sie an einem eher ungewöhnlichen Ort: „In einem Einkaufszentrum in Calgary gab es eine Kletterwand für Kinder, während die Erwachsenen einkaufen waren“, erzählt sie mit einem Schmunzeln. „Von da an mussten meine Eltern ziemlich oft einkaufen gehen!“ Noch heute erinnert sie sich an das Gefühl, das sie damals an der kleinen Wand hatte – sie war sofort fasziniert.
Dann kamen die Jugendjahre, das Physikstudium, die Interessen verlagerten sich. Für ihre Doktorarbeit kam Cathy nach Innsbruck – und die Erinnerungen an die Kletterwand im Einkaufszentrum waren sofort wieder da. Allerdings vor einer ungleich schöneren Kulisse, den Tiroler Bergen. Cathy war jedenfalls hochmotiviert, und neben der körperlichen Ertüchtigung war das Klettern für sie, die hier in Europa noch niemanden kannte, auch ein Vehikel für soziale Kontakte. „Das war schon eine tolle Zeit während des Studiums, wenig Verpflichtungen und so oft wie möglich am Fels“, erinnert sie sich. Vor allem mit Peter Manhartsberger, mittlerweile im Qualitätsmanagement von Austrialpin, war sie viel unterwegs. Er war es auch, der sie 2014 ür das Athletenteam empfahl. Am Fels hat sie Routen bis zum Schwierigkeitsgrad 8b/8b+ geklettert, aber als ihren größten Erfolg bezeichnet sie: „In Tirol Deutsch zu lernen, wo der Dialekt doch sehr ausgeprägt ist!“
Die Königsdisziplin: Klettern mit Kleinkind
Mittlerweile klappt das wunderbar, Cathy spricht so fließend tirolerisch, wie sie sich am Fels bewegt. Und sie ist angekommen: Hat ihr Doktorat abgeschlossen, einen spannenden Job in der Quantenforschung und mit Christoph einen ebenfalls bergbegeisterten Partner gefunden. Und gemeinsam meistern sie seit eineinhalb Jahren die wohl größte Herausforderung, die das Leben zu bieten hat: Töchterchen Laura.
Seit Laura auf der Welt ist, haben die beiden Bergverrückten natürlich ein paar Gänge zurückgeschaltet. Aber man hat den Eindruck, dass es sie nicht im Geringsten stört, dass sie derzeit weniger am Fels sind. Im Gegenteil: „Wir haben uns zwei E-Bikes zugelegt und sind einfach viel mit dem Kinderanhänger unterwegs, das klappt super“, sagt Chris. Hauptsache draußen.
Denn natürlich, so viel ist klar: Klettern mit Kleinkindern wird vieles, aber nicht einfacher. Angefangen beim richtigen Packen (Windeln! Spielzeug! Schnuller!) über den Zustieg (bitte kurz, bitte flach!) bis hin zum Klettergarten selbst (ebener Wandfuß, schöne Umgebung, kein Steinschlag!) legen sich diverse Schichten zusätzlicher Anforderungen über den geplanten Klettertag. Da fällt realistisch gesehen schon mal der Großteil der Felsen weg. Dann müssen auch noch die Routen passen und attraktiv sein. Aber immerhin: Im Climbers Paradise Tirol gibt es immer noch über 40 zertifizierte Familienklettergärten und Bouldergebiete.
Und man braucht immer mindestens eine weitere Person oder Seilschaft, um sich mit Klettern und Kinderbetreuung abwechseln zu können. „Ideal ist hier eigentlich ein Single, der auch gut mit Kindern umgehen kann und nicht ganz so fanatisch klettern will“, scherzt Cathy. Denn selbst wenn man als zwei Familien unterwegs ist und alle vier eine hohe Klettermotivation haben, wird es schwierig, dass alle auf ihre Kosten kommen. Denn kleine Kinder haben meist andere Motivation, als ihre Eltern beim Seilklettern anzufeuern.
Ergo: Es ist kompliziert. Aber nicht unmöglich. Der „easy way out“, das ist mit Kleinkind definitiv die Kletterhalle, weshalb Cathy und Chris im vergangenen Jahr deutlich mehr an Plastikgriffen gebouldert haben. „Das klappt super, einer passt auf die Kleine auf, der andere bouldert. So kommt man auch in kurzer Zeit zu seinem Training und dem Pump“, sagt Cathy. Dass sich das auf die Leistung am Fels auswirkt, ist ebenso klar. Chris ist da so ehrlich zu seiner Partnerin wie ein altes Ehepaar: „Ich habe den Eindruck, dass du in der Halle etwas besser geworden bist, dafür aber am Fels etwas schlechter“, schmunzelt er.
Draußen am Latschenturm
Aber trotzdem gilt: Draußen in der Natur findet das wahre Klettern statt. So wie heute am Latschenturm oberhalb von Hoch-Imst: Mit Hilfe der Bergbahn ist der Aufstieg trotz Kleinkind auf den Schultern bequem möglich, der Weg führt idyllisch durch einen Märchenwald. Nach 20 Minuten erreicht man den riesigen Findling, auf allen Seiten gibt es gut eingebohrte Routen. Daneben plätschert der Bach, für Laura gleich die größte Attraktion: Füße rein, Steine werfen! Während Papa Chris am Wasser beschäftigt ist, schlüpft Mama Cathy in den Klettergurt, klickt die bunten Austrialpin-Express-Schlingen an den Gurt, Regenbogen-Edition. Und los geht’s, von einer Freundin gesichert, in die Aufwärmroute.
Selbst die leichteren Routen hier geben sich bissig, am Latschenturm bekommt man nichts geschenkt. Doch es macht Spaß, die technischen Rätsel des kompakten Kalkblocks zu entschlüsseln. Dann ist auch schon bald Mittagszeit, nach einer gemütlichen Jause ist es Zeit für Lauras Mittagsschlaf, sie darf das noch. Während Cathy die Kleine mit der Trage um den Bauch schnallt, klettert Chris seine Routen. Dann der entscheidende Moment: Lässt sich Laura ablegen, schläft sie auf der Isomatte weiter? Es klappt, „success”, Cathy lächelt zufrieden. Und dann passiert etwas, das es seit eineinhalb Jahren nicht mehr gegeben hat: Die beiden Eltern dürfen zusammen als Seilschaft klettern, für eine Route vielleicht.
Zur Feier des Tages geht es an die steile Nordseite des Latschenturms, Cathy schwingt sich in die Henkel, der Name der Route: „Unverhofft kommt oft“, 7a. Ein perfektes Motto für den Tag im Speziellen, und vielleicht sogar für das Leben einer jungen Familie im Generellen. Und wer weiß: Vielleicht kommt unverhofft ja zukünftig immer öfter. Zurück auf dem Boden sagt Cathy etwas Großartiges: „Man muss seinen Ehrgeiz den Umständen anpassen. Sonst macht man sich nur unglücklich.“
Doch viel wichtiger als jede gekletterte Route ist am Ende des Tages die freudige Feststellung von Chris: „Laura ist einfach so gerne draußen im Wald, das macht ihr richtig Spaß!“ Und das freut natürlich auch die Eltern. Und genau das ist das Schöne am Klettersport: Von jung bis alt haben alle Spaß, einfach draußen in der Natur, und zwar gemeinsam. Tannenzapfen sammeln, Steine werfen, ein paar Routen klettern. Jedem das Seine.