Einer, der sich mit dem Körper eines Kletterers auskennt, wie kaum ein anderer, ist Klaus Isele. Der Physiotherapeut und Osteopath hat sich vor allem mit der „Isele-Methode“ einen Namen gemacht. Diese Therapiemöglichkeit zur Behandlung von Fingerbeschwerden hat Sportler aller Leistungsklassen zu ihm geführt. Vom blutigen Kletteranfänger, der zu motiviert am Fingerbrett hing, bis hin zu Profis wie Anna Stöhr oder Adam Ondra.
Vor allem letzterer hat Klaus Isele zu seinem persönlichen Physio-Guru ernannt und noch viel mehr, denn der Vorarlberger hat einen wichtigen Beitrag zur Realisierung von Ondras Masterpiece „Silence“ (9c) in Flatanger geleistet: Die schwerste Route der Welt bis dato konnte nur gelingen, weil die beiden hier das Bewegungsrepertoire Ondras nicht nur perfektioniert, sondern bis an die Grenzen des Möglichen ausgelotet hatten.
Ob jedermann/ -frau die Route schaffen würde, „nur“ weil er/sie mit Klaus Isele trainiert, sei zwar dahingestellt. Dass man auf alle Fälle viel tun kann, um seinen Körper zu optimieren und verletzungsfrei zu bleiben, braucht keinen Konjunktiv. Klaus hat sich mit uns getroffen und einige Fragen beantwortet.
Adam Ondra ist eines der vielseitigsten Klettertalente – wenn nicht sogar DAS vielseitigste weltweit. Auf welche Weise konntest du einem Kletterer, der seine Fähigkeiten so perfektioniert hat, überhaupt noch helfen?
Klaus Isele: Jemand, der eine Sportart auf so hohem Niveau betreibt wie Adam, hat ein sehr ausgeprägtes Wissen darüber, was er kann, vor allem aber auch, was nicht. Adam konnte mir im Vorfeld unserer Kooperation sehr genau sagen, was er brauchte und woran er arbeiten wollte. Bei „Silence“ betraf das vor allem verschiedene Bewegungen, die aufgrund seiner Gelenkradien nicht möglich waren. Das heißt, er hatte die Vorstellung einer Bewegung, die sich aber nicht realisieren ließ. Ich habe Adam Alternativen vorgeschlagen, um die Unmöglichkeit seiner Idee möglich zu machen. Dazu muss man sowohl Anatomie als auch Physiologie des Körpers kennen, aber vor allem muss man einen Athleten einzuschätzen wissen. Für einen anderen hätte ich vermutlich ganz andere Lösungen kreiert, vielleicht ihm aber auch einfach davon abgeraten, eine solche Bewegung zu versuchen.
Nachdem Adam sich für eine Alternative entschieden hatte, musste er diese erst erlernen, bevor er versuchte, sie in der Route umzusetzen. Es dauerte also ziemlich lange, bis er überhaupt merkte, ob das, was wir uns da überlegt hatten, funktioniert.
Wie wichtig ist die Prävention für Fingerverletzungen beim Klettern?
Klaus Isele: Für einen Kletterer sind Fingerverletzungen etwas vom Schlimmsten und dennoch mangelt es an gängigen Therapiemethoden oder Publikationen, was man sowohl präventiv als auch rehabilitiv tun kann. Kletterpause ist noch immer eine der gängigsten Therapiemaßnahmen und gleichzeitig die unliebsamste. Dass nämlich dadurch nicht nur das Klettern wegfällt, sondern unter Umständen ein ganzes soziales Netzwerk wegbricht, können manche Ärzte oder kletterunwissende Therapeuten vielleicht nicht nachvollziehen, denn es ist ja eh „nur ein Finger“.
Umso wichtiger für die Klettercommunity ist dein Beitrag zur Fingertherapie. Die „Isele-Methode“ hat sich bereits einen Namen gemacht. Wie funktioniert sie?
Klaus Isele: Die Isele-Methode beruht auf klassischen manuell-therapeutischen Anwendungen, die sich an Elementen der Osteopathie, aber auch der Physiotherapie orientieren. Das Besondere ist eher die Art und Weise, standardisierte, aber dennoch individuelle Bedingungen zu schaffen, um einerseits die Schmerzpunkte zu lokalisieren, andererseits aber auch den Therapieerfolg schnell messbar zu machen. Das heißt, man kann optimal auf den einzelnen Patienten eingehen, denn jeder Schmerz und jede Verletzung ist individuell, vor allem aber kann man innerhalb einer Sitzung schon Verbesserungen erkennen. Für den Patienten ist das ein enormer Vorteil, da man häufig übervorsichtige Diagnosen bekommt, die auf einer wenig evidenten Beschwerdebeschreibung basieren.
Das führt gleich zum nächsten Punkt meiner Therapie: Ich traue beispielsweise nie einem einzelnen Test, um eine Diagnose zu erstellen. Nur wenn die Anamnese, körperliche Anzeichen und ein manueller Test dazu in eine Richtung deuten, kann man sagen, was den Betroffenen quält. Durch eine übervorsichtige Diagnose kann es zu iatrogenen Schäden kommen. Das heißt, der Verletzte humpelt unter Umständen zwei Wochen länger, nur weil er eine erschreckende Diagnose bekommen hat und dies auf der Unterbewusstseinsebene zu viel mehr Schaden führt.
Man ist erst wieder gesund, wenn man nicht mehr an die Verletzung denkt.
Klaus Isele: Richtig. Im Moment entwickelt sich gerade eine Physiotherapeuten-Community, die sich die Methodik aneignen und sie dann anwenden wollen. Zudem steht eine weitere wissenschaftliche Arbeit an, um die Wirksamkeit der Isele-Methode zu belegen. Diese Entwicklungen sind eine große Ehre für mich.
Hängt das große Interesse, die Isele-Methode zu erlernen, vielleicht auch damit zusammen, dass immer mehr Leute klettern und es mehr Kunden für die Therapeuten gibt?
Klaus Isele: Für den Breitensport ergeben sich einige Tendenzen. Klettern boomt sehr. Aber etwa 80 Prozent der Hallen bieten Bouldern an, nur etwa 20 Prozent Sportklettern. Dieser Trend ist in Amerika, Europa und Asien überall ähnlich. Damit einhergehend gibt es viel mehr Verletzungen insgesamt, da das Bouldern aufgrund höherer Intensitäten weit belastender ist für den Körper. Natürlich nicht nur an den Fingern.
Hat der neue Wettkampfmodus auch Einfluss auf das Verletzungsprofil genommen?
Klaus Isele: Im Wettkampfbereich bedingen eher Erschöpfungszustände unterschiedliche Verletzungen. Der olympische Modus trägt dazu bei, dass sich die Spreu noch mehr vom Weizen trennt, denn es geht darum, wer das hohe Volumen des Trainings überhaupt noch verarbeitet. Dies paart sich mit einer Nährstoffunterversorgung, da ein geringes Körpergewicht ja klar von Vorteil ist. Eine gefährliche Kombination.
Du hast einen Youtube-Vlog: „How to feel good as a climber“. Was ist das Konzept dahinter?
Klaus Isele: In dem Vlog stelle ich gängige Verletzungen vor, wie diese entstehen und wie man sich davor schützen kann. Das Ziel ist, dass jede/r sich selber präventiv zu helfen weiß, denn wer seinen Körper versteht und kleine Schmerzen zu deuten weiß, der kann geeignete Maßnahmen setzen, um sie langfristig zu vermeiden. Wie kann man sich quasi vor sich selbst schützen? =)
Was empfiehlst du, um verletzungsfrei zu bleiben?
Klaus Isele: Eigentlich ist es sehr simpel: Vor allem soll man sich nicht von der Gruppendynamik mitreißen lassen, wer, was, wann, wie oft tut. Das Allerwichtigste ist, Bewusstsein für seinen eigenen Körper zu schaffen und auf sich zu hören. Kleine Schmerzen muss man früh genug ernst genug nehmen. Derjenige, der früher und somit schlauer reagiert, ist der, der länger und mehr klettert im Jahr.