Der Klettergarten „Gailwand“ im Kaunertal unterhalb des Gepatschstausees bietet fantastische Linien in feinstem Granit: von Riss über Verschneidung bis Wandkletterei. Und weil man ohnehin schon auf der Kaunertaler Gletscherstraße unterwegs ist, kann man noch ein bisschen Hollywood-Luft schnuppern, nach Steinböcken Ausschau halten und „Maria im Schnee“ einen Besuch abstatten.
Gailwand im Kaunertal: Klettern im Reich der Steinböcke
Schon allein die Fahrt im Kaunertal Richtung Klettergarten ist gleichermaßen beeindruckend wie beschaulich. Auf dem breiten Talboden zu Beginn des Kaunertals schmiegen sich schmucke Bauernhöfe und Stadel harmonisch in die Landschaft. Durch die größte Gemeinde Feichten ist man im Nu durchgerutscht. Danach reihen sich noch einige Weiler wie Perlen auf einer Schnur, um schon bald in eine herb-liebliche Natur überzugehen. Nach der Mautstelle fängt die Gletscherstraße an sich in vielen Kehren Richtung ewiges Eis emporzuschrauben. Links und rechts ragen mächtige Berggipfel wie Zinnsoldaten in den Himmel, während vor uns langsam die imposante Staumauer des Gepatschstausees ins Sichtfeld rückt. Steht man quasi vor dem Damm, hat man auch den Ausgangspunkt für die Gailwand in Form einer kleinen Parkbucht an der Straße erreicht. Zur Rechten der Damm und ein Haus, zur Linken ein Hinweisschild, dass es hier zum Klettergarten geht.
Der Zustieg durch einen Bergwald ist kurz, ein wenig steil, aber dafür ganz zauberhaft. Letzteres verlangt vielleicht ein wenig Fantasie, dann beispielsweise, wenn der weiche Boden wie eine Matte nachgibt und sich „Mäuler“ mit ihren schwarzen Löchern entgegenrecken und knorrige Wurzeln das Gehen zum Hindernisparcours werden lassen. Zu feminin? Dann einfach ignorieren. Was man aber definitiv nicht ignorieren kann, ist der herrliche Duft, der in der Luft liegt: Holz, Moos und Pilze sorgen für ein sattes Aroma, das schwer in der Luft hängt. Das Gebiet rund um die Gailwand birgt zahlreiche schützenswerte Besonderheiten bei Flora und Fauna. Entsprechend gilt Umsicht bei Zu- und Abstieg, sprich: dem gut markierten Pfad folgen und nicht abkürzen. Außerdem ist die Gailwand zwischen 15. Oktober und 1. Mai gesperrt, dann gehört dieser traumhaft schöne Wald wieder ganz den Steinböcken und alle anderen Wildtieren.
Übrigens ist der Waldbereich rund um die Gailwand ein so beliebtes Gebiet für Bock und Geiß, dass es sogar einen eigenen Eintrag in der Gletscherstraßen-Infokarte bekommen hat (Station Nummer 8 „Steinbock-Hang“: Im Frühjahr und Herbst grasen hier Steinböcke).
Zurück zum Klettern: Nach gut 15 Minuten abwechslungsreichem Aufstieg steht man vor der imposanten Gailwand mit einigen äußerst interessanten Linien. Routen wie „Joshua Tree Classic“ und „Egon’s Yosemite“ zeigen auch klar, was hier geboten wird: feinste Granit-Risskletterei. Wer gerade vom Sinterklettern im Kalk kommt, hat unter Umständen eine gewisse Eingewöhnungsphase – ist diese erfolgreich abgeschlossen, kann man die Kletterei hier oben auf gut 1800 Metern Höhe voll genießen. Vor allem der Ausblick vom Umlenker auf den milchig-grün-schimmernden Stausee belohnt alle Klettermühen.
Am Wandfuß ragen die Pflanzen dicht wie im Dschungel hoch empor und es summt, flattert und surrt überall. Ein gutes Mückenspray ist unabdingbar im Sommer. Außerdem sollte man den Wetterbericht verfolgen, denn nach Regen bleibt der Fels lange nass – entsprechend waren bei unserem Besuch einige interessante Routen nicht machbar, zu sehr tropfte es aus der Wand. Tipp: Wer weiter entfernt wohnt und einen Kletterbesuch an der Gailwand plant, sollte schon eine Woche vorher beginnen, das Wetter online zu verfolgen.
Passt das Wetter, erlebt man hier oben einen äußerst erfüllten Klettertag, der nach Wiederholung schreit. Nicht zuletzt weil neben den schönen Kletterlinien auch die Routennamen wie „Just Married“, „Fucking Moskito“ oder „Kriminal Tango“ unbedingt geklettert werden müssen. Nach dem klettern sollte man auf jeden Fall auf der Mautstraße noch ein bisschen weiter Richtung Gletscher fahren. Allein die 6 Kilometer entlang des Gepatschstausees sind eine Fahrt wert. Das milchig-grüne Wasser, der glitzernde Schnee und das ewige Eis schmeicheln den Augen. Zahlreiche Wasserfälle laden ihr Publikum zum Bestaunen ein, wenn das Wasser mal feinrieselnd, mal tosend seinen Weg sucht.
Die Gailwand im Kaunertal im Überblick
Tolles Granitgebiet auf gut 1800 Metern Höhe. Die Routen bieten Verschneidungs-, Riss- und Wandkletterei. Nach Regenperioden lange nass. ACHTUNG: Zwischen 15. Oktober und 1. Mai herrscht Kletterverbot! Wildruhezone!
Insgesamt warten 30 Routen in den Schwierigkeiten 5c+ bis 8a+ auf euch. Ausrichtung: West. Die Gailwand ist für Einsteiger nur bedingt interessant (wenige wirklich leichte Routen). Auch Familien mit kleinen Kindern kommen hier nicht auf ihre Kosten, da der Bergwald bis an die Felswand recht geneigt und uneben ist.
Ein Kinderparadies: der Fernergries im Kaunertal
Wer mit Kids oder Kletterneulingen unterwegs ist, die auch gerne mal kraxelnd am Fels emporsteigen wollen, der lässt die Gailwand links liegen und fährt einfach direkt die Gletscherstraße noch ein gutes Stück weiter hinauf bis zum Klettergarten „Fernergries“. Der vom Gletschereis geformte Fels liegt hier zwar direkt neben der Mautstraße, dafür aber an einer breiten ebenen Wiese. Die Auto- und Motorradfahrer sind schnell ausgeblendet, nicht zuletzt weil das Wasser vom Gepatschferner hier Richtung See hinunterdonnert.
Interessantes am Wegesrand: Ganz in der Nähe des Familien-Klettergartens liegt der Schmetterlingsplatz mit Bänken zum Ausruhen und Brotzeit machen. Außerdem zeigt ein Vermessungspunkt den Gletscherstand aus dem Jahr 1857. (Station 16 und 17 in der Infokarte Kaunertaler Gletscherstraße)
Denkmalschutz auf 1900 Metern Höhe: das Gepatschhaus
Hat man den beeindruckenden Stausee hinter sich gelassen, geht es wieder in Kehren steil nach oben auf den nächsten Almboden. Hier angekommen sollte man eine Rast am Gepatschhaus einplanen. Warum? Weil die Alpenvereinshütte nur wenige Gehminuten von der Straße entfernt liegt und der Blick zurück zum Stausee eine Wucht ist, genauso wie die Hütte samt der Holzkapelle „Maria im Schnee“.
Das Gepatschhaus wurde 1873 als erste deutsche Alpenvereinshütte in Österreich gebaut. Die Holzkapelle kam 1895 dazu. Beides, Hütte und Kapelle, stehen seit 2013 unter Denkmalschutz. Ein Blick in die schöne Hüttenstube lohnt, genauso wie ein Einkehrschwung auf der Terrasse und ein Besuch der Kapelle.
Auf den Spuren von Bond, James Bond
Praktisch im Parkplatzgebiet vom Gepatschhaus hat sich übrigens Daniel Craig für den 24. Bond-Streifen „Spectre“ mit den Filmbösewichten eine heiße Verfolgungsjagd geliefert. Ist nichts zu sehen, aber für echte Bond-Fans oder Craig-Liebhaber eventuell fast so etwas wie heiliger Boden.
Insgesamt sollte für das Kaunertal mehr als ein Tag eingeplant werden – sowohl die Klettereien als auch die Ausflugsmöglichkeiten, Stationen und Sehenswürdigkeiten am Wegesrand der Gletscherstraße sind äußerst interessant und vielfältig.
Wer sich die Maut von 24 Euro (PKW oder Kleinbus bis max. 5 Personen) sparen will, kann die Straße mit dem E-Bike erobern, oder klar, by fair means mit dem klassischen Rad (ohne Elektromotor) oder gleich zu Fuß. Aber dann ist es etwas zeitintensiver – als verlängertes Wochenende aber eine schöne und umweltschonende Variante.
Übernachtungsmöglichkeiten im Kaunertal
Wer oben bleiben möchte, der sollte sich im Gepatschhaus einmieten. Vor allem die Zweibettzimmer sind eine Augenweide und rufen nostalgische Erinnerungen wach. Wer ein bisschen Drumherum will mit Cafébesuch & Co., sucht sich eine passende Unterkunft in Feichten.