Über die Klettergebiete um Innsbruck wurde schon viel getippt. Die Tiroler Landeshauptstadt, Herz der Alpen, Herz des Climbers Paradise, so viel ist bekannt. Zeit, ein paar Worte über die dort heimische Subspezies der Inntalkraxler zu verlieren – den homo vertikalis innsbruckiansis.
Früh morgens an einem Dienstagvormittag im März oder April – Vorhang auf, Blick raus, Mund auf. Wolkenlos! Letzte Nebelschwaden hängen noch auf der Nordkette, ab der Hungerburg haben die Bäume schon wieder ihren weißen Mantel übergestreift, ein paar Zentimeter Neuschnee gab’s noch in der Nacht. Und jetzt das typische Innsbrucker Dilemma: Die Powderlatten anschnallen oder das Chalkbag umhängen, ja was denn nur?
Der Innsbrucker Frühling ist gefüllt mit derartigen Luxusproblemchen: Der Himmel oft strahlend blau, die Tage wieder länger, oben noch gut Schnee und im Inntal schon fein warm. Und die Nervenzellen des homo vertikalis innsbruckiansis beginnen ihr verwirrtes Gedankenspiel. Ist der Schnee oben überhaupt noch fluffy? Wird der Grip am Fels noch passen? Hat am Dienstagvormittag überhaupt wer Zeit für eine kurze Session im Dschungelbuch?
Die Prioritäten in Innsbruck
Aber irgendwer hat immer Zeit. Was Innsbruck eigentlich auszeichnet, ist nicht die zentrale Lage mitten in Europa, es ist der erfreulich große (Gen-)Pool an übermotivierten Kletterern und Skifahrern, die eben immer Zeit haben. Innsbruck als Studentenstadt, das heißt, die Vorlesung wird schon nicht so wichtig sein. Innsbruck als Stadt der freien Geister, das heißt, die Projektabgabe kann auch noch bis morgen warten. Eben alles eine Frage der Prioritäten, und die Prioritäten in Innsbruck heißen: Fels. Powder. Firnskitour.
Der typische homo vertikalis innsbruckiansis wird also beim Frühstück mit der einen Hand die Honigsemmel schmieren, mit der anderen sein halbes Telefonbuch durchwhatsappen, mit kontinuierlich steigender Nervosität. „Heut Dschungl?!“, „Kurz Seegrubm auffi shredden?!“, dazu meist ein paar übertriebene Sonnen-Emoticons. Biss biss, piep piep. Die langen Minuten des bangen Wartens beginnen – hat wer Zeit, oder sind schon alle unterwegs? Wieder zu lange geschlafen heute? Oder muss das Volk gar arbeiten heut, mal wieder eine Masterarbeit abgeben oder mit den quengelnden Kindern am Inn spazieren? Bitte! Nicht!
Piep piep, „passt hol di um 9:15 ab, i Seil, du Exen“, kommt dann irgendwann zurück. Puh. Tief durchatmen. Tag gerettet. Semmel runterschlingen, Kaffee exen, Thermoskanne füllen, Daune einpacken. Homo vertikalis innsbruckiansis begibt sich auf die Jagd, es wird wieder ein guter Frühlingstag in Innsbruck.
3 Tipps zum Klettern im Frühling: Wo die Sonne den Felsen küsst
Und wo verschlägt es unseren homo vertikalis innsbruckiansis heute hin? Ein paar Tipps für die ersten warmen Tage am Fels:
1. Martinswand / Dschungelbuch
Der Klassiker, eh klar. Aber das Dschungelbuch ist einfach ein ungewöhnlich vielseitiger Klettergarten mit vielen tollen Sektoren. Von Innsbruck schnell erreicht, kaum Zustieg, perfekt auch für die Tage, an denen die Freunde doch noch am Vormittag in die Vorlesung müssen oder erst um 14 Uhr von der Arbeit wegkommen (Gleitzeit!). Im Hauptsektor dominieren knallharte Leistenklettereien ab 7a, rechts daneben findet man im Sektor Plattenschleicher auch lohnende Routen im 6ten und 7ten Schwierigkeitsgrad, allerdings nie geschenkt. Den Dschungel muss man sich erstmal erarbeiten. Ganztags sonnig, im März kann man an wolkenlosen Tagen von ca. 10 bis 16:30 Uhr im T-Shirt klettern.
2. Höttinger Steinbruch
Ein weiterer großer Klassiker oberhalb Innsbrucks, mit Bus (Linie J) und Fahrrad auch umweltfreundlich sehr gut zu erreichen: der Höttinger Steinbruch. Im Frühling ab Mittag Sonne, einige leichte Routen rechts draußen schon früher. Eignet sich auch perfekt als „Notlösung“ für homo vertikalis innsbruckiansis, wenn mal wirklich keiner Zeit hat. Der Boulderquergang ist zwar sagenhaft abgeschmiert, aber bevor man daheim bleibt und nichts macht, einen Pump kann man sich allemal abholen.
3. Martinswand / Grottenwand
Ein kleiner, feiner Sektor mit vielen leichteren Routen hoch über dem Inntal: die Grottenwand. 15 Minuten Zustieg, allumfassend-sonnige Lage. Für die Hardmover gibt’s Richtung Grotte auch noch einige lohnende Frühjahrsprojekte (zB. Renaissance, 7c+).
Disclaimer:
Der Autor ist selbst ein homo vertikalis innsbruckiansis und weiß deshalb genau um die inneren Unruhen, die einen befallen, wenn die conditions mal wieder perfekt sind. Es gibt einfach zu viel zu tun in dieser Stadt!