Die Oberländer sind „felsefescht“, sagt man in Tirol. Was so viel heißt wie, sie verfügen über einen gefestigten Charakter. Die Oberländer – das sind die Bewohner Tirols westlich von Innsbruck – verfügen aber auch über ausgesprochen viel festen Fels. Überzeugt euch selbst!
Pinus cembra. Das ist der lateinische Name für die Zirbelkiefer. Aus der Zirbe wird im Kaunertal viel gemacht: Zirbenmöbel, ja ganze Zirbenstuben oder Zirbenschnaps. Der Zirbe wird eine gesundheitsfördernde Wirkung nachgesagt. So muss es nicht weiter verwundern, dass es neuerdings auch Klettergriffe aus Zirbenholz gibt. Diese finden sich nicht in einer Kletterhalle, wie man meinen möchte, sondern in freier Natur.
Genauer gesagt am Schweikert. Das ist ein 2.879 m hoher Koloss aus Urgestein, der hoch über dem Kaunertal thront. Dort gibt es die Mehrseillängen-Tour „Wiesa-Jaggl“. Schon der kurze Zustieg zur Tour erinnert an eine Kräuterwanderung. Wacholder-, Heidelbeer- und Preiselbeersträucher säumen den Weg. Die herbstlich gefärbten Lärchen am Wegesrand biegen sich im Talwind, der von den Gletschern weht. Es duftet. Es duftet nach Alpen.
Auf den ersten Blick verspricht der Berg keine großartigen Klettermeter. Schon der Einstieg der Tour ist für Chanti und Karo nicht ganz leicht zu finden. Die ersten Felsmeter sind durchsetzt von Sträuchern. Kiefern sprießen auf den Podesten zwischen den Felspassagen. Karo schnappt nach einem Kiefernast. Ein Henkel! Kurzes Ausruhen.
„Ich dachte, wir gehen klettern und nicht waldbaden“,
ätzt sie. Waldbaden ist ein neuer Trend, bei dem man in die angenehme Atmosphäre des Waldes eintaucht. Er kommt aus Japan, wo gestresste Manager in den Wald gehen, um sich zu erholen. Eine scheinbar banale Therapieform, die auch bei uns immer beliebter wird. Kurz zuvor haben sich die beiden noch darüber lustig gemacht.
Und jetzt umarmen sie genauso wie die gestressten Manager Bäume, um sich von den kniffeligen Plattenstellen zu erholen. Es duftet. Wohltuend. Chanti legt eine Bandschlinge um eine Kiefer: „Stand! Nachkommen!“ Nach dem Waldbad zu Beginn öffnet sich die Wand und wunderschöne Seillängen mit abwechslungsreicher Kletterei in festem Fels erwarten die beiden.
„Die Plattenlängen waren so schön wie am Grimselpass in der Schweiz“, schwärmt Karo, als sie nach der 11. Seillänge zum Stand kommt. Die Tour ist hier aber noch lange nicht zu Ende. Ein hochalpiner Grat führt zum Gipfel. Nach weiteren vier Stunden Kraxelei, die ihnen alles an alpiner Erfahrung abverlangt, stehen sie am Gipfel und fallen sich in die Arme.
„Frieden findet man nur in den Wäldern“, sagt Chanti ironisch. „Und in den Bergen“, ergänzt Karo.
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- Schweikert Kaunertal / Route ‚Wiesa Jaggl‘
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