Lena Müller setzt sich für klimafreundliches Klettern ein und zeigt, wie man mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Kletterspots kommt. An diesem Morgen hat sie schon einen guten Teint im Gesicht. Ist sie doch gerade frisch von einem Arco-Trip zurück – unterwegs war sie ohne Auto, nur mit Zug und Fahrrad. Umständlich oder befreiend? Für Lena ist die Antwort eindeutig.
Seit sie vor zwei Jahren mit dem Trad-Testpiece „Prinzip Hoffnung“ als erste Deutsche eine Route im Grad E9/E10 geklettert ist, ist Lena Müller auf der medialen Kletterlandkarte aufgeschlagen. Wir sprechen mit der in Innsbruck lebenden Allgäuerin über klimafreundliches Klettern, ihre Arbeit als Klimaforscherin, die Freiheit des Handelns und ihr neues Projekt, den nachhaltigen Kletterführer für Tirol.
Interviewfragen
Simon Schöpf: Im aktuellen Film-Projekt ‚Alpen – to go?!‘ der Firma Ortovox sieht man dich bei deinen Feldversuchen als Klimaforscherin im Stubaital und beim Klettern im Karwendel. Wo steckst du gerade mehr Energie rein?
Lena Müller: „Um ehrlich zu sein: Die meiste Zeit geht mittlerweile in die Forschung und meine Selbständigkeit. Klettern ist leider ein bisschen in den Hintergrund gerückt über die letzten zwei Jahre, da hab‘ ich aber durchaus zu hadern damit, dass das Klettern zu kurz kommt. Aber das geht wahrscheinlich vielen von uns so, die arbeiten. Sonst ist das recht abhängig von der Jahreszeit: im Winter finde ich die meiste Zeit zum Klettern, im Sommer führe ich dann meine Forschungsexperimente durch, weil da die Pflanzen wachsen. In meiner Doktorarbeit schaue ich mir die Auswirkungen der Klimakrise, vor allem der zunehmenden Dürreereignisse, auf Bergregionen an. Dazu machen wir Experimente im Stubaital und im Botanischen Garten Innsbruck.“
Im Intro des Films sagt die Stimme aus dem Off zu beeindruckenden Naturaufnahmen: „Heute sind wir an einem Punkt, an dem wir mehr Schaden als Nutzen anrichten. Wir sind dabei zu zerstören, was wir lieben und brauchen. Und wir wissen das.“ Wissen ist das eine, Handeln das nächste – wie schaffst du es, die zwei Herzen, die in deiner Brust schlagen, zu vereinen?
Beim mir ist es so, dass sich das gegenseitig bedingt: das Wissen und das Handeln! Der Hauptgrund für mich, dass ich persönlich etwas in meinem Leben umgestellt habe, war das Wissen um die Auswirkungen der Klimakrise.
Durch mein Studium der Ökologie und jetzt meinen PhD habe ich mich so viel mit der Klimakrise beschäftigt, irgendwann ist daraus dann das Bedürfnis entstanden, etwas in der Praxis zu verändern. Seitdem setzte ich mich für einen politischen Wandel ein und versuche gleichzeitig, meinen persönlichen Fußabdruck verringern. Auch Klettern kann klimafreundlich sein.
Vor kurzem erschien der neue Bericht des Weltklimarates IPCC, der leider in den Wirren des Ukrainekrieges medial unterging. Was denkst du dir als Klimaforscherin dabei, wenn du die Conclusio liest?
Es führt einem vor Augen, wie viel Leid da noch auf uns zukommt. Und dass je später und langsamer die Politik handelt, desto mehr Menschen am Ende leiden. Die andere Seite ist aber auch: Der Bericht zeigt auf, wie viel Möglichkeiten wir noch haben. Wir müssen jetzt handeln. Es gibt Strategien, wie sich verschiedene Regionen auf die Veränderungen vorbereiten können. Vor allem aber zeigt der Bericht, dass die Politik endlich handeln muss – entschlossen!
Theoretische Frage: Würdest du auch in den Klettergarten radeln, wenn du nicht Ökologie studiert hättest?
Sehr gute Frage und wirklich schwierig zu beantworten. Tatsächlich vielleicht sogar nicht. Für mich war die Auseinandersetzung mit der Klimakrise im Studium und in der Forschung der Anstoß, viele meiner Lebensbereiche zu verändern. Am Ende des Tages eben auch die Mobilität im Sport, dem Klettern. Ich hatte das Gefühl, es reicht nicht, kein Fleisch mehr zu Essen und Bio einzukaufen, aber trotzdem ein paar Mal die Woche mit dem Auto zu den Felsen zu düsen. Meine Antwort zeigt im Grunde aber auch ein großes Problem auf: die Klimakrise ist eine Informationskrise! Wir werden von der Politik und den Medien nicht ausreichend und ehrlich genug darüber informiert, was auf uns zukommt.
Hier kommt auch massiv die politische Lenkung ins Spiel: Wenn es bequemer wird, mit dem Zug zu fahren und dazu für jede und jeden bezahlbar, wenn öffentliche Verkehrsmittel automatisch die bequemste und billigste Lösung für Mobilität sind, da werden sie auch entsprechend viele Leute nutzen. Und sonst halt nur so Fanaten wie ich, die das für wichtig halten (lacht).
In deiner Doktorarbeit forschst du an den Effekten von Dürreereignissen auf die Ökosysteme der Berge. Lässt es sich in ein paar (für uns verständlichen) Sätzen beschreiben, wie sich der Klimawandel bereits jetzt für uns Bergsteiger, uns Kletterer manifestiert?
Der alpine Raum ist von der Klimakrise außerordentlich stark betroffen. Weil die Erhitzung im Alpenraum viel stärker ist als im globalen Mittel und die Berge zudem ein sehr sensibles Ökosystem sind. Die Folgen sind: Die Gletscher schmelzen ab, die Schneedeckendauer verkürzt sich, der Permafrost taut ab und Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Starkniederschlag und Dürren nehmen zu.
In die Zukunft geschaut: Mit welchen Konsequenzen müssen wir rechnen, wenn wir weiterhin „business as usual“ praktizieren?
Wenn die Politik nicht handelt und die Erderhitzung nicht auf 1,5 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts begrenzt, dann sind die Auswirkungen dramatisch! Die Folgen sind bekannt … der Anstieg des Meeresspiegels, ein Trinkwassermangel, vermehrte Missernten, Fluten, dramatischer Rückgang der Artenvielfalt. Die Auswirkungen sind auch global extrem ungleich verteilt, sowohl die Folgen als auch die Anpassungsmöglichkeiten.
Klar, man kann den CO2 Verbrauch reduzieren, aber Klettern ist und bleibt ein Sport, in dem das Reisen, das zu-den-Felsen-kommen, essentiell ist. Und zudem ein ausrüstungsintensiver Sport, wir Klettern an Seilen aus Polyamid, in Patschen aus Gummi und Leder, in bunten Gore-Tex-Jacken; das alles verbraucht Energie und Ressourcen, die, so könnte man zynisch argumentieren, anderenorts dringender gebraucht werden. In Anbetracht der eskalierenden Klimakrise: Klettern ohne schlechtes Gewissen, geht das überhaupt noch?
Da hast du recht, auch wenn man so CO2-arm wie möglich anreist, wenn man nachhaltige oder wenig Ausrüstung konsumiert und die kaputte Jacke wieder repariert … man verbraucht trotzdem Ressourcen für seine Freizeit und seinen persönlichen Spaß. Ob jemand ein schlechtes Gewissen hat, ist eine sehr individuelle Frage und geht über das Klettern hinaus. Ich denke viele von uns werden sich unserer Situation bewusst: dass wir im globalen Norden sehr privilegiert sind. Wir sind weniger von der Klimakrise betroffen wie der globale Süden, haben eine hohe Emissionsschuld, und hohe Emissionen im Vergleich zu anderen, meist ärmeren Regionen; Und dieses sich-bewusst-werden kann zum Handeln führen. So war es bei mir. Ich versuche zu handeln und Dinge zu verändern, das hilft mir gegen das schlechte Gewissen. Aus dem schlechten Gewissen – oder dem Sich-bewusst-werden – in das proaktive Handeln zu kommen, das befreit!
Du probierst durchaus inspirierend, mit gutem Beispiel voranzugehen, persönlich etwas zu verändern. Drehst Filme, schreibst Beiträge, redest mit Leuten, machst auf klimafreundliches Klettern aufmerksam. Ist das ansteckend für andere? Wie nimmt das dein Freundeskreis wahr?
Dass das ansteckend ist, das hoff ich sehr! Ich habe mittlerweile sehr viele positive Rückmeldungen bekommen, auch von Leuten, die ich gar nicht kenne. Seit ich die „Prinzip Hoffnung“ in Bürs geklettert bin, habe ich im Grunde einfach Glück gehabt, immer wieder Anfragen zu diesem Thema zu bekommen, die Möglichkeit, öffentlich darüber zu sprechen. Und mit dem vielen Feedback sieht man, dass man nicht alleine ist, dass das eine geteilte Sorge ist, dass man eine Gemeinschaft ist; wenn das nicht so wäre, könnte ich das nicht machen!
Aber es ist immer noch schwierig, jemanden zu finden, der Bock hat mit Öffis zum Klettern zu fahren. Aber ich bin zuversichtlich, dass das immer leichter werden wird und klimafreundliches Klettern Alltag wird.
Du kommst ja aus dem Allgäu, lebst aber in Innsbruck. Was hat dich hierher verschlagen?
Genau, bereits seit über 10 Jahren! Ich bin zum Studieren hergekommen, Bachelor, Master und jetzt mein Doktorat. Im Allgäu war ich auch schon viel klettern, ich wollte deshalb auch unbedingt in den Bergen bleiben, da hat sich Innsbruck natürlich angeboten..
In welchen Klettergebieten hängst du am liebsten ab? Und kannst uns ein paar Tipps geben, welche Wände am bequemsten mit den Öffis erreichbar sind?
Im Winter gehe ich total gern an die Martinswand, das geht super mit Bus oder Zug.
Mittlerweile fahre ich auch oft in die Region Kufstein, weil man da bequem mit dem Zug hinkommt und ich hab’s gern bequem. Die Geisterschmiedwand ist super, richtig gute Kletterei und wenn man das Fahrrad in die S-Bahn mitnimmt, ist man in 10 Minuten vom Bahnhof am Felsen, das geht total easy. Auch der Klettergarten Morsbach geht gut, Sparchen ebenso, da fährt man dann so 20 Minuten mit dem Radl.
Du arbeitest ja auch gerade an einem nachhaltigen Kletterführer. Verrate uns mehr darüber!
Nächste Woche gehen wir in den Druck! Den Kletterführer habe ich zusammen mit einer Freundin von mir gemacht, Deniz Scheerer. Wir stellen darin Klettergärten in Tirol vor, die von Innsbruck aus gut mit den Öffis oder dem Fahrrad zu erreichen sind. Der Fokus liegt auf der Anreisebeschreibung: Unser Ziel ist es, klimafreundliches Klettern zu erleichtern und die Einstiegshürde möglichst gering zu halten. Ich habe anfangs schon sehr viel Zeit damit verbracht, Sachen auszuprobieren und zu recherchieren, das kostet alles Energie. Wir hoffen, dass unser Führer es mehr und mehr Kletterinnen und Kletterern erleichtert, das Auto auch mal stehen zu lassen.
„Klimafreundlich Klettern – Ein Guidebuch zur Anreise mit Bus, Bahn und Rad in Tirol“, ist ab Mai 2022 kostenlos als gedruckter Führer oder auch online verfügbar.