Vom Sinn und Unsinn, zwei Sportarten miteinander zu kombinieren: Im Wilden Kaiser geht’s mit den Tourenski zur Alpinkletterroute, um mitten in der Wand eine Überraschung zu erleben.
Das Hochdruckgebiet ist so prägend, dass es seinen eigenen Namen verdient: Omega heißt es und bringen tut es wolkenlosen Himmel über Tirol, seit bereits mehr als 14 Tagen. Es bringt uns außerdem die Extremform dessen, was man Frühlingsdilmma nennen könnte: Unten im Tal perfekte Temperaturen zum Klettern im T-Shirt, oben am Berg noch die idealen Firnverhältnisse zum Tourengehen. Jeden Tag stellt sich deshalb die paradoxe Frage: Klettern gehen oder Skifahren? Die elegante Lösung des Luxusproblems: Genau, beides gleichzeitig!
Nennen wir es auf gut Neudeutsch ski & climb, mit den Tourenski zum Fels, schön südseitig klettern, abseilen, mit großzügigen Schwüngen wieder ‘gen Tal gleiten. Soweit die Theorie, die Praxis ist dann schon etwas komplizierter: An welche Felsen komme ich halbwegs bequem im Frühjahr hin? Wo ist es dann auch an kurzen Tagen warm genug zum Klettern? Welche Rolle spielt die Lawinengefahr mit der tageszeitlichen Erwärmung? Und vor allem, wen kann ich motivieren, mit Gurt, Karabiner und Doppelseil auf Skitour zu gehen?
Christof ist dabei, wie meistens bei dezent verrückten Aktionen. Wir wollen ein Ziel im Tiroler Unterland ansteuern, nach einem ski & climb bei Imst und einem im Schüsselkar ist das für dieses Jahr der nächste logische Schritt, zusammengenommen könnte man dann sogar wagemutig von einer „Tiroler ski & climb Trilogie“ sprechen, das klingt doch gut. Und welches Ziel würde sich im Unterland mehr anbieten als der legendäre Wilde Kaiser, wo schon so viel Klettergeschichte geschrieben wurde?
Der Kaiser im Schnee
Im eingeschneiten Zustand präsentiert sich der Wilde Kaiser wie die Dolomiten im Kompakt-Format: Überall schroffe Felszacken und steile Rinnen, der Steilrinnen-Aficionado in Christof sieht überall schon die nächste lohnende Befahrung. Doch nicht heute, da bleiben wir skitechnisch im einfachen Gelände, und das merkt man auch unmittelbar an den Massen – das muss man so sagen – die hier Richtung Ellmauer Tor pilgern, Hunderte ist ohne Übertreibung im Plural zu verwenden. Aber wen wundert’s auch bei diesem Kaiserwetter im Kaiser, der Lawinenwarndienst gibt seit zwei Wochen einen ganztägigen „1er“ aus, am Himmel nicht mal der Ansatz einer Wolke, die Fernsicht nur vom Horizont begrenzt, kurz: Die Bedingungen könnten nicht besser sein.
Wir reihen uns also mit einem innerlichen Lächeln in die Tourengeherkolonne ein, wohl wissend, dass wir bald mutterseelenallein in einer sonnigen Südwand hängen werden. Unser Ziel: Die Vordere Karlsspitze, mit ihrem verhältnismäßig kurzen Zustieg und einer imposanten Wandhöhe von 400 Metern ein beliebtes Ziel unter Kletterern. Und hier gibt es eine Route, die vom Namen her wohl nicht besser zu unserem Unterfangen passen könnte: ABS. Im Wintersportmilieu steht das Akronym für für Airbag-System, einen Lawinenrucksack, in unserem Falle steht es für: „Andy Bernhard Schonner/Salvenmoser“, eine Verewigung der lokalen Erstbegeher am schönen Gaudeamus-Pfeiler.
Aufgrund der günstigen Lawinensituation sind wir zwar ohne ABS-Rucksack unterwegs, leicht ist er aber ob dem ganzen Material trotzdem nicht. Bis ins Kübelkar war es eine leichte Skitour, auf den letzten Metern wird es aber noch steil. Hier zeigt sich gleich die erste Herausforderung, die man im Sommer so gar nicht hat: Überhaupt an den Fels kommen. Mühsam treten wir uns eine kleine, ebene Fläche und fixieren die Rucksäcke am ersten Bohrhaken, damit sie nicht im Bergschrund verschwinden. Das Anziehen des Klettergurtes ein Balanceakt, das Wechseln von den Skitourenschuhe in die Kletterpatschen ohnehin nur etwas für Liebhaber. Aber irgendwie gelingt uns das Kunststück, Seile raus, losklettern. Ein kurzer Blick aufs Topo verrät: Seillänge eins, VI, 30 Meter. Christof schwingt sich an den Fels, clippt eine Expressschlinge, und dann: „Stand!“ Nach gut fünf Metern ist er schon beim ersten Standplatz, sprich wir stehen noch auf 25 Metern Schnee, der sich hier über den ganzen Winter am Wandfuß akkumuliert hat. Bei noch gut 400 Klettermetern aber egal. Denken wir uns zumindest jetzt noch.
Klettern im T-Shirt
Die erste Schlüsselstelle ist also überwunden, die Seilschaft vom Element Schnee zum Element Fels transferiert. Auf geht’s! Die Sonne knallt an den Fels, „die lange Unterhose war jedenfalls eine schlechte Idee“, schwitzt Christof am Standplatz. Gerade erst aus dem Winter gekommen, fühlt es sich hier an wie im Sommer, wir klettern im T-Shirt, von kalten Händen keine Spur. Kurz, die Verhältnisse sind perfekt. Im Hintergrund hören wir die ersten Firnjünger mit lauten Freudenjuchzern abwedeln, wie kleine Ameisen schauen sie von hier oben aus. Der Fernblick reicht vom Großglockner bis zum Großvenediger, ein blau-weißes Panorama der Sonderklasse.
Die ABS haben wir auch als Ziel gewählt, weil sie für Kaiser-Verhältnisse gut mit Bohrhaken ausgestattet ist und wir wieder über die Route abseilen können, zurück zu unserem Skidepot. Außerdem ist die Schwierigkeit mit bis zu VII- recht moderat, was uns ein schnelles Vorwärtskommen sichern sollte. Denken wir zumindest jetzt noch.
Und dann kam die Seillänge Nummer vier: Im Topo mit I-II eingezeichnet, eigentlich unschwieriges Gehgelände. Nur leider jetzt ein ziemlich steiles Firnfeld, der Winter hat hier seine eisigen Grüße konserviert. „Verdammt“, denken wir, „mit steifen Skischuhen normal kein Problem, aber mit Kletterpatschen … irgendwie ungut!“ Absichern kann man natürlich auch nichts, und wegrutschen will man in der Exposition ganz und gar nicht. „Puh, also mir ist das zu heiß“, sagt Christoph, und das will aus dem Munde eines erfahrenen Alpinisten und Bergretters etwas heißen.
Heißt in der Konsequenz also: Rückzug, nichts unnötig riskieren. Kommt davon, wenn man eine Sommersportart im Winter ausüben möchte, könnte man einwerfen. Stimmt natürlich. Aber immerhin haben wir es probiert, und rechtzeitig umdrehen ist die Fähigkeit, die Alpinisten alt werden lässt. Und nichts anderes haben wir vor. Was wir uns jedenfalls nicht nehmen lassen: Die Firnabfahrt zurück ins Tal, das großzügige Gelände ein Genuss. So fühlt sich unser Scheitern an der Route gar nicht wie eines an, sondern wie ein Gewinn: Ein abenteuerreicher Tag in der grandiosen Kulisse des Wilden Kaisers, einer der schönsten Plätze in ganz Tirol. Und das nächste Mal wissen wir es besser: Wir werden früher aufstehen und an die Südostwand des Karlsspitze gehen. Dorthin, wo die Wand so steil ist, dass bestimmt kein Schneefeld liegen bleibt. Die verdiente Knödelsuppe auf der Wochenbrunnalm schmeckt in jedem Fall gut.
Ski & climb am Wilden Kaiser
- Vom Zustieg mit Ski gut geeignet ist die Vordere Karlspitze, westlich am beliebten Weg zum Ellmauer Tor. Unschwierige Skitour, ca. 700 Höhenmeter, von der Wochenbrunner Alm aus. Für die Routen an der Südostwand (ABS, Wirtskante etc) sollte ein späterer Zeitpunkt gewählt werden, wenn die Schneefelder in den Bändern bereits abgeschmolzen sind. Besser die (anspruchsvolleren) Routen auf der Südostseite, zB Sportherz (8).
- Auch der eindrucksvolle Bauernpredigtstuhl auf der rechten Seite am Weg zum Ellmauer Tors ist gut mit Ski zu erreichen, hat allerdings eine Westwand, also erst am Nachmittag Sonne. Hier muss die Lawinensituation entsprechend ganztägig stabil sein und die Tage bereits länger (ab Mitte März ca möglich).
- Auch gut mit Ski machbar sind die kürzen Sportkletter-Plattenrouten an Niedersessel (Gebiet Ackerlhütte, bis zu drei Seillängen, meist 5. bis 7. Schwierigkeitsgrad).
Tipps für ski & climb
- Lawinenlagebericht beachten! Ideal ist ein ganztägiger „Einser“, bei den klassischen Frühjahrsverhälnissen findet eine tageszeitliche Erwärmung statt und eine Abfahrt nach Mittag ist oft signifikant gefährlicher (Nassschnee). Somit bleibt nur ein kurzes Zeitfenster zum Klettern.
- Schneefelder über der Route beachten! Durch die Sonneneinstrahlung in der Wand kann es vermehrt zu Stein/Eisschlag kommen, wenn die Schneereste über einem langsam schmelzen. Außerdem kann aus trockenem Fels in der Früh am Nachmittag schnell ein kleiner Wasserfall werden.
- Wandfuß beachten! Was im Sommer trivial erscheint, nämlich der Einstieg in die Route, kann im Winter durchaus heikel sein, wenn am Wandfuß noch ein steiles Schneefeld liegt. Das Wechseln von der Skitouren-Ausrüstung zur Kletterausrüstung wird zum Balanceakt.