Kletternde Yogis oder yogierende Kletterer schwören darauf: Yoga hilft, schwierigere Routen zu klettern. In diesem Artikel möchte ich den Fokus auf zwei – für mich – sehr wertvolle Aspekte der regelmäßigen Yogapraxis für mein Klettern legen.
Ich habe heute Yoga gemacht. Online-Yoga natürlich. Grundsätzlich bin ich zwar keine Yogi, aber seit den Covid-Maßnahmen gönne ich mir regelmäßig, nämlich fast täglich, eine Morgen-Yoga-Session.
In den ersten Einheiten war die Überwindung dazu groß: Zu müde der Körper vom Hometraining, zu verlockend der Gedanke, mit dem ersten Kaffee wieder auf die Couch zu flacken. Mittlerweile hat sich die Morgeneinheit zur Routine entwickelt und ich merke, wie groß die Benefits sind, die ich fürs Klettern gewinne. Dazu gehört beispielsweise:
- Förderung der Beweglichkeit
- Ausgleich für beanspruchte bzw. vernachlässigte Körperpartien
- Verbesserung des Körpergefühls und der motorischen Fähigkeiten
- mentale Stärke
- bessere Regeneration
- mehr Körperspannung
- Kräftigung
Hinzu kommen für mich aber vor allem zwei Aspekte: Einerseits hat man die Möglichkeit, beim Yoga mit vollem Range of Motion (ROM) zu trainieren, und andererseits verbessert man seine Atmung und damit einhergehend die Konzentration und die Fähigkeit, punktgenau mentale und körperliche Leistungen abzurufen.
Sei die geschmeidigste Version deiner selbst
Stell dir mal vor, du hängst an echt schlechten Griffen und es gibt nur eine Lösung, um dich aus der Misere zu retten: Ein Hook, der zwar Bombe ist, blöderweise aber echt sehr hoch oben. Das heißt, du musst nun deinen Fuß bzw. deine Ferse weit hinaufbringen (Beweglichkeit) und dann dein Gewicht über diesen Tritt nach oben drücken (Kraft). In dieser Situation entwickelst du eine Kraft am Rande deiner individuellen Beweglichkeit. (Prominentes Beispiel hierzu ist Margo Hayes in ihrem Durchstieg von „La Rambla“).
Yoga könnte man also als Grundlage des „geschmeidigen“ Kletterns bezeichnen, da hier Kraftübungen an der Grenze der maximalen Beweglichkeit ausgeführt werden.
Training über den maximal möglichen Bewegungsradius
In der Trainingswissenschaft kommt dies dem Training der ROM (Range of Motion) nahe. Das heißt, man kräftigt den Muskel über den gesamten Bewegungsradius, den man individuell aufgrund seiner Muskulatur und Gelenksstruktur zur Verfügung hat. Im vollständigen ROM zu trainieren heißt, den Muskel von maximal gedehnt bis maximal verkürzt zu kontrahieren.
Diese Art des Trainings bringt große Vorteile für den Kraftaufbau, denn die Muskeln werden über die komplette Länge hinweg aktiviert, durch die Dehnung unter Last wird ein Stimulus für das Muskelwachstum gesetzt und die reflektorischen Reize durch den Muskel-Dehnreflex bedingen eine zusätzliche Kontraktion. Kurz gesagt: Die Kombi aus Dehnung und Aktivierung ist optimal, um einen größeren und stärkeren Muskel zu erzeugen.
Im Yoga nimmt man oft (individuell) maximale Dehnpositionen ein, wobei in diesen Endpositionen Kraft aufgewendet wird, um die Position zu halten bzw. mit anderen Übungen zu ergänzen.
Kurzum: Yoga macht uns einerseits beweglicher, andererseits aber umso stärker in dieser Beweglichkeit.
Die Yogalehrerin Nici von Ländle Yoga empfiehlt für herausforderungsliebende Kletterer und Kletterinnen folgende Übungen:
Pfau bzw. Sanskrit mayurasana
Side-Crow: seitliche Krähe oder Eka-Pada-Koundinyasana genannt; auf dem SUP-Brett noch schwieriger.
Rock Star: auch Wild Thing oder Camatkarasana genannt; hier von Nici Scheichl praktiziert.
Weitere empfehlenswerte Übungen:
- Side Plank
- Reverse Plank
- Handstand-Variationen
- Kopfstand-Variationen
Die Atmung – zentrales Element für Yoga wie für Klettern
Zweites genanntes Argument, das für regelmäßiges Yoga spricht, betrifft die Atmung, die sowohl beim Yoga als auch beim Klettern eine zentrale Rolle spielt.
Yoga-Hintergrund dafür ist Pranayama (die Yoga-Atmung), die für Prana (Lebensenergie) und Yama (Steuerung) steht. Einfacher gesagt: Mit Pranayama kann man die Lebensenergie steuern.
Beim Yoga-Kurs wird man von einem Lehrer oder einer Lehrerin zur korrekten Atmung geführt, beim Klettern müssen wir sie uns selber beibringen.
Richtiges Atmen will gelernt sein
Will man richtiges Atmen üben, kann man sich an der Struktur einer Yogaeinheit orientieren. Schritt eins ist, den Fokus auf das innere Ich zu lenken, das durch die tiefe Bauchatmung erreicht wird. In Schritt zwei versucht man, unter Belastung die richtige Atemstruktur in die Bewegung zu bringen, um effizienter zu klettern und so das Atmen zu einem wichtigen Bestandteil des erfolgreichen Durchstiegs zu machen.
Lassen wir mal den banalen Faktor außer Acht, dass wir das Atmen brauchen, um nicht blau anzulaufen, und setzen den Fokus darauf, dass wir mit dem Atemfluss auch gezielt unsere Bewegung und Konzentration steuern sowie Anspannung und Entspannung lenken können.
–> Richtiges Atmen verlagert den Fokus von „Get the party started …“ im Ohr auf den Felsen: Das Wahrnehmen von Tritten, das Antizipieren von Bewegungen usw. Es stellt sich eine positive Wahrnehmungskraft, Stärke und die Überzeugung ein, dass man den Durchstieg schafft.
Die Atmung timen
Darüber hinaus kann man die Atmung timen und an die Belastung anpassen, wodurch Bewegungen harmonisiert und flüssiger werden. Auch dies lernt man durch die regelmäßige Yogapraxis. Ich habe versucht, für euch das Atem-Profil des Kletterns nachvollziehbar zu machen.
- Leichte Züge und Raststellen: Die Atmung sollte tief sein. Die sogenannte Bauchatmung spielt hier eine Rolle, vor allem, wenn man an einem guten Griff versucht sich zu erholen.
- Schwere Züge: Die Atmung wird schneller (sowie im Optimalfall auch die Kletterbewegung). Oft wird sie in dieser Situation auch flacher. Doch Vorsicht: Eine sogenannte Brustatmung führt auf längere Zeit zur Übersäuerung, da das Laktat, das sich ohnehin bildet, zusätzlich schlechter abtransportiert wird. Also auch wenn man schneller atmet, achtet darauf, dass die Atemzüge tief sind.
- Crux- und Maximalzüge: Bei Maximalzügen neigt man dazu, die Luft anzuhalten. Das passiert oft deshalb, weil man durch das Anhalten der Luft die höchste Anspannung aufbringen kann und man sich dadurch stabiler fühlt. Der Nachteil: Es entstehen dabei „Abfallprodukte“ wie Laktat, das in weiterer Folge schlechter abtransportiert wird. Das schadet der Gesamtperformance massiv. Man rät in der Sportwissenschaft daher, auch bei kräftigen Zügen auszuatmen.
Aufgaben für die Verbesserung eurer Atmung
- Achtet auf eine Bauchatmung, auch im Alltag: Ganz tief einatmen – Luft anhalten – ganz tief ausatmen (funktioniert liegend am besten, z.B. vor dem Einschlafen).
- Wechselatmung: Links einatmen, Luft anhalten, rechts ausatmen, rechts einatmen, Luft anhalten, links ausatmen … (das jeweils andere Nasenloch zuhalten mit Daumen bzw. Mittelfinger, der Zeigefinger legt sich auf die Stirn).
- Schnellatmung: Langsam einatmen und in schnellen Stößen durch die Nase ausatmen.
Abschließend möchte noch gesagt sein: Solltest du noch immer nicht von den Argumenten fürs Yoga überzeugt sein, dann schau dir doch bitte mal das Video von Adam Ondras Begehung von „Silence“ an. Dann ist dir hoffentlich klar, was zu tun ist. In diesem Sinne: frohes Yogieren!