Ein Artikel für Entscheidungsfaule: Für all diejenigen, die sich an schönen Frühlingstagen nie entscheiden können, ob sie lieber mit Frühstart eine zackige Firnskitour in Angriff nehmen, weil grad ein stabiler Einser den Lawinenlagebericht grün einfärbt. Oder ob sie doch lieber ausschlafen und eine gemütliche Sportklettersession in der Sonne? Hier ein praxisnaher Lösungsvorschlag: Einfach beide Sportarten kombinieren, und schwupp, Entscheidung umgangen! Klingt genial, ist es auch, nur eben ein bisschen Mehraufwand. Aber wer unvergessliche Erlebnisse sucht, muss eben investieren.
Schnee und Fels in der Ferienregion Imst
Für eine gelungene Ski & Climb-Expedition braucht man, findige Leser ahnen es schon, guten Schnee und warmen Fels. Vom Schnee sollte eben noch so viel in der Landschaft rumliegen, dass man bequem vom Parkplatz aus mit den Ski losstapfen kann. Und der Fels sollte möglichst südseitig exponiert sein, damit man bequem im T-Shirt klettern kann und dabei noch einen guten Teint bekommt. Für Ski & Climb ist ein perfektes Timing essenziell, und ein bestens geeignetes Fleckchen in Tirol ist das Muttekopfgebiet in der Outdoorregion Imst, weil hoch gelegen und mit tollen Felsen nur so gesegnet.
Unterwegs mit einer Bergführerlegende aus der Outdoorregion Imst
Und noch eine wichtige Zutat für einen gelungenen Tag draußen: Wen dabei haben, der sich auskennt mit Fels und Schnee. „Da, die Guggerköpfle-Ostwand, schau her, der Riss, der da von rechts nach links schräg durchzieht. Da haben wir 1981 die Erstbegehung gemacht, a wilde G’schicht, mit selbergschnitzte Holzkeil’ hamma uns gsichert“, erzählt Alfred Flür bei unserer ersten Verschnaufpause. Alfred ist unser Local für den Tag, der Imster kennt hier wirklich jeden Kieselstein: Seit über 40 Jahren ist er als Bergführer in seinem Hausgebiet unterwegs, winters wie sommers, gerade hat er seine umfangreiche Recherche für den neuen Kletterführer des Muttekopfgebietes abgeschlossen. In den letzten Jahren hat er hier zudem unendliche Stunden Arbeit und Schweiß in die Sanierung vieler alpiner Klassiker gesteckt, statt vermoderter Holzkeile kann man jetzt rostfreie Stahlbohrhaken zur sorgenfreien Sicherung klinken. So auch an dem Stück Fels unserer Wahl für den heutigen Tag: Die Melzerplatte hoch über Imst.
Gestartet haben wir unsere Kombi-Tour bei der Mittelstation der Imster Bergbahnen, bei der Untermarkter Alm. Das Skigebiet hat bereits geschlossen, der Sessellift läuft durch die Revision, wir schlendern völlig allein durch diese grandiose Landschaft. Die Muttekopfhütte, ein perfektes Basecamp für die Sommermonate, lassen wir links liegen und steigen rechter Hand in Richtung des Hinteren Plattein (2.723 m) auf. Dort, wo im Sommer ein undurchdringbarer Latschengürtel ist, hat der Winter noch sein großes, weißes Leintuch aufgespannt. Wir marschieren bequem mit unseren Ski darüber, der harte Frühjahrsschnee unter unseren Fellen beginnt sich mit der Sonne langsam aufzuweichen. Und auch vom großen Schotterkar ist an diesem Apriltag noch nichts ausgeapert, beständig steilt sich die Rinne auf, ab der Hälfte montieren wir die Harscheisen für besseren Halt unter die Bindung.
Von den Skischuhen in die Kletterpatschen und zurück
Am Wandfuß angekommen, staunt sogar Alfred: „Boa, so a brutaler Schnee heuer. Schau da an, was da no liegt, bestimmt no vier Meter.“ Der Einstieg der Routen liegt für uns heute also ein paar Meter über Sommer-Niveau, wir starten irgendwo zwischen zweitem und drittem Bohrhaken. Aber das ist nicht die einzige Veränderung: Auch das Anziehen der Kletterschuhe will geübt sein, wenn man direkt vom Schnee weg startet. Alfred nimmt’s pragmatisch und klettert die Einstiegsmeter der Schmetterlingsverschneidung (5a) als ausgefuchster Bergführer einfach in den Skischuhen, auf einem kleinen Podest wechselt er dann sein Schuhwerk im Trockenen. Auch, wenn es durchaus einiges an Motivation bedarf, direkt aus den verschwitzten Skitourensocken in die engen Kletterpatschen zu wechseln.
Aber sobald man dann die ersten Züge hinter sich gebracht hat, weiß man, dass es sich gelohnt hat, den schweren Rucksack mit den Doppelseilen bis hier herauf zu schleppen: Unter einem das große Weiß der Schneedecke, über einem schier endloser Fels.
Und die größte Belohnung für den Aufwand, die kommt dann ganz am Schluss: Nach einigen genussvollen Seillängen an der Melzerplatte seilen wir uns direkt zu unserem Skidepot ab, stellen die Bindung auf Abfahrtsmodus und genießen weite Schwünge im Firnschnee, ganz runter bis zum Auto. Gut, dass wir uns heute nicht für Klettern oder Skitour entscheiden mussten.
Infos zum Ski & Climb in Tirol
Worauf muss man aufpassen, wenn man Skitour mit Alpinklettern verbindet? Der Imster Bergführer Alfred Flür gibt Tipps für Motivierte.
1. Schnee & Lawinen:
Essenziell ist es, sich gut mit der Schneesituation auszukennen und den tagesaktuellen Lawinenlagebericht zu verstehen.
2. Steilheit des Wandfußes:
Die Hänge unter dem Wandfuß können oft steil sein, wie an der Melzerplatte, eine solide Spitzkehrentechnik und Erfahrung beim Gehen mit Harscheisen sind deshalb die skitourentechnischen Voraussetzungen.
3. Zeitfaktor:
Meistens ist man auf der Suche nach sonnigen Wänden auch im südseitigen Gelände unterwegs, hier nimmt im Frühjahr die Lawinengefahr mit der tageszeitlichen Erwärmung zu. Sprich: Früh starten, früh wieder abfahren!
Infos zum Klettern im Muttekopfgebiet
- Im engeren Umkreis der bekannten, generalsanierten und bestens bewirtschafteten Muttekopfhütte bieten sich dem felsaffinen Besucher eine Reihe von Möglichkeiten:
- Elf Klettergärten mit sehr festem, löchrigem Konglomeratgestein sowie 42 Mehrseillängenrouten an kleineren sowie auch hohen Wänden und Graten.
- Unter den Klettergärten sind die anfängertauglichen, familienfreundlichen Sektoren „Felswurm“, „Teufelskralle“, „Schafkopf“ und „Silberwurz“ besonders beliebt, wobei letzterer mit 27 Routen der inzwischen meistbesuchte sein dürfte. Werden höhere Schwierigkeiten gesucht, bieten sich die Sektoren „Fölsefescht“, „Rammstein“ und der Hardrocksektor „Rote Wand“ an, auch am etwa 130 Meter hohen „Guggerköpfle“ sowie an den „Blauen Köpfen“ geht’s in einigen Routen ordentlich zur Sache.
Neuer Führer 2019: Klettern im Muttekopfgebiet bei Imst
256 Seiten, inklusive Alpingeschichte, Geologie, einer Vorstellung des Ruhegebietes Muttekopf und natürlich: mit vielen, vielen Routen und genauesten Topos! Erhältlich ab Ende Frühjahr 2019 im Buchhandel, in diversen Sportgeschäften und Kletterhallen. Autor: Alfred Flür.