Kaffee trinken mit der rosa Feldhasennilpferdmaus
Regelmäßig ertapp ich mich beim Gedankenschweifen in zauberhaften Welten, hüpfe mit den Umpa Lumpas durch Charlies Schokoladenfabrik und trinke Kaffee mit einer kleinen, rosa Feldhasennilpferdmaus mit rotem Hut – bis die drei magischen Worte erklingen „Martina, konzentrier dich!“
Das mit dem konzentrieren ist ab und an sehr herausfordernd für mich. Während ich klettere, kommentiere ich lieber die Gespräche meiner Kletterpartner, anstatt mich auf den nächsten Zug zu fokussieren, und anstelle davon, einen Klimmzug mehr zu machen, lasse ich lachend schon einen Klimmzug früher los. So verbissen muss man ja nicht sein, oder?
Konzentration – Fokus, Fokus!
Damit tue ich mir offensichtlich schwer. Doch wer gut klettern will, sollte lernen, sich zu konzentrieren. Wer lieber im ersten Versuch einen Boulder klettert, der sollte das auch lernen. Und wer gerne Kraft spart beim Auschecken von Einzelzügen, der auch (macht Sinn, wenn man sich die Beta merken möchte). Mit Verbissenheit hat das auch gar nicht so viel zu tun.
Für Menschen wie mich, gibt es Menschen wie Madeleine Eppensteiner – ihrerseits Sportpsychologin. Sie trainiert auf mentaler Ebene regelmäßig mit Athleten und -innen, hauptsächlich (aber nicht ausschließlich) mit Kletterern. Und Madeleine weiß eines: Das Fokussieren bringt einen enorm weiter – sowohl im Training, im Projekt, als auch im Wettkampf. ABER: Es muss gelernt sein. Madeleine hat mir einige Tipps gegeben, worauf ich achten muss, und wie ich es lernen kann.
Theorie zur Konzentration und dem Fokus
Man unterscheidet vier Dimensionen, wie man seinen Fokus ausrichten kann. Um die folgende Theorie etwas verständlicher zu machen, stellt euch euren Fokus als einen Scheinwerfer vor, der seine Brennweite je nach Anforderung auf vier Ebenen richten kann:
1. Außen-weit
Dein Scheinwerfer richtet sich in die Umgebung, vieles ist beleuchtet, nichts aber wirklich komplett klar erkenntlich oder zu detailliert. Deine Aufmerksamkeit ist nicht auf deine eigene Person gerichtet. Man versucht die Situation als Ganzes zu erfassen, so wie ein „Panoramabild“. Auf dieser Ebene zu fokussieren ist häufig dann der Fall, wenn man in einer neuen Umgebung ist, wie in einer neuen Halle/ Wettkampfstätte oder einem neuen Gebiet.
2. Außen-eng
Der Scheinwerfer richtet seine Aufmerksamkeit auf ein Ding in der Umgebung, beispielsweise auf die Route, vor der du stehst – oder noch spezifischer: Auf den Zug, den du als nächstes machen musst. In diesem Zustand gibt es nur noch die Route und dich.
3. Innen-weit
Hier nimmst du dein momentanes Befinden wahr. Wie geht es mir gerade? Fühl ich mich fit oder schlaff? Kann ich diese Fragen klären, kann ich mir ein positives Mindset erschaffen oder noch weitere Übungen machen, um mich zu aktivieren. Das ist vor allem kurz vor dem Start wichtig.
4. Innen-eng
Dein Scheinwerfer fokussiert sich beispielsweise auf deine Atmung oder auf deine Gedanken. Hier kann ich gezielt negativen Emotionen entgegensteuern. Bin ich beispielsweise total verunsichert, bevor ich einsteige, spreche ich mir positiv zu oder überlege mir positive Konsequenzen, wenn ich die Situation meistere.
Der richtige Fokus für die bestmögliche Konzentration
Vielleicht sucht ihr jetzt wie ich, nach einem Ranking, und versucht zu verstehen, was nun gut ist und was schlecht. Tja, eine positive oder negative Bewertung dieser Ebenen ist nicht möglich und auch nicht notwendig, denn die meisten Situationen sind zu komplex, um zu sagen, ich brauch nur die Ebene 1 oder 2…. Wichtiger ist immer, abzuwägen, worauf wir unseren Scheinwerfer genau in dem jeweiligen Moment richten. Manchmal ist es wichtig, den schweren Einzelzug im Fokus zu haben, ein anderes Mal ist es wichtiger, auf mögliche Gefahren in der Umwelt zum Beispiel auf Steinschlag zu achten.
Die Anforderungen variieren situationsabhängig. Meistens geschieht der Wechsel schnell. Bouldern zum Beispiel: Die Wahrnehmung switcht zwischen Fokussieren auf wenige Züge, die Wahrnehmung der äußeren Anforderungen wie die Zeitmessung bei einem Wettkampf und dem Nachspüren, ob ich schon wieder erholt genug bin, einen neuen Versuch zu machen. Hier muss man schnell switchen, aber alle Teilbereiche sind wichtig.
Konzentrationsübungen:
- Lerne mit Störfaktoren umzugehen: Bau Ablenkung bewusst im Training ein, beispielsweise laute Musik oder jemand der von hinten laut mit dir redet.
- Arbeite mit Selbstinstruktionen/ Selbstgesprächen: Lenke verbal deine Aufmerksamkeit auf positive Gedanken oder auf Handlungen (muss nicht mal ausgesprochen werden, sondern kann auch nur auf gedanklicher Ebene sein). Selbstgespräche müssen positiv formuliert durchgeführt werden – Zweifel und Grübeleien wegblenden („Stay positive!“)
- Richte deinen Fokus auf die nächste wichtige Sache – nicht auf die Übernächste. Blende Fragen nach dem Gestern und Morgen aus: Es geht um das HIER und JETZT.
- Bewerte Situationen nicht subjektiv (positiv oder negativ), sondern bemühe dich, neutral zu bewerten.
- Achtsamkeitsübungen wirken sich positiv auf das sich-fokussieren aus, egal ob achtsames Gehen (also auf jeden Schritt achten), oder Atemzüge zählen, usw.
Der Satz: „Konzentrier dich einfach“ – vielseits gesagt von Trainern, Lehrern oder anderen, die versuchen, einem was beizubringen – ist diesbezüglich kontraproduktiv, denn hier fehlt die Info dessen, worauf ich mich genau konzentrieren soll. Und man muss auch lernen, dass man sich nicht immer konzentrieren kann – die Konzentrationsleistung ist nämlich beschränkt, etwa die Länge eines Routendurchstiegs. Danach ist das „Konzentrationssäckchen“ nämlich vorerst aufgebraucht (– und man kann wieder mit dem kleinen, rosa Feldhasennilpferd mit rotem Hut Kaffee trinken). Seid also nicht zu streng zu euch selber.
Und jetzt ein Satz, der quasi als Fokus dieses Textes wirken soll:
KONZENTRATION KANN MAN TRAINIEREN!
Man kann erlernen, sich auf verschiedene Arten zu konzentrieren, dafür Strategien entwickeln und den Wechseln dazwischen schnell gestalten. Das non-plus-ultra wäre es natürlich, einen konzentrierten Lifestyles zu leben. Konzentration kann man nämlich immer und jederzeit üben. Das heißt nicht, dass wir immer konzentriert sein müssen, aber dass wir lernen, in den Momenten, wenn es erforderlich ist, bewusst konzentriert zu agieren. Und je besser wir es können, umso besser können wir es flexibel anwenden (übrigens gilt das bei all unseren Fertigkeiten).
Dazu sollte man sich passende Routinen zulegen, diese im Training praktizieren und sie in der Anforderungssituation anwenden.
Für all diese Infos möchte ich Sportpsychologin Madeleine Eppensteiner danken. Mehr zu diesem und anderen sportpsychologischen Themen findet ihr auf Madeleines Webseite unter www.climbingpsychology.com. Ein Blick auf ihre Seite kann sehr fokuserweiternd wirken.
Die Konzentration für den Wettkampf
Zwei österreichische Athletinnen, die im Weltcup starten werden, haben mir ihre Tipps verraten, wie sie sich unmittelbar vor einem Wettkampf, vorbereiten:
Hannah Schubert: Bestimmte Rituale habe ich nicht. Wenn ich länger in der Isozone bin, versuche ich mich abzulenken und nicht zu viel an den Wettkampf zu denken. Wenn mein Start näher rückt, fokussiere ich mich und achte darauf, dass ich nur positive Gedanken in meinem Kopf lasse. Ich denke an frühere Erfolge, an Wettkämpfe die gut gelaufen sind. Auf diese Weise motiviere ich mich und rede mir Mut zu. „Du weißt, dass du es kannst, du bist in einer superguten Form. Mach es einfach wie beim Wettkampf in Briancon“.
Julia Fiser: Kurz vor dem Start in einem Wettkampf höre ich motivierende Musik und gehe die Züge im Kopf durch. Meistens schauen die Routen bei der Besichtigung echt lässig aus und dann freue ich mich richtig darauf, sie zu klettern. Direkt vor dem Einsteigen lächle ich und sage zu mir „Mach‘s wie im Training – dann klappt das!“ Ansonsten versteife ich mich nicht auf Rituale oder ähnliches. Es kann im Wettkampf immer zu Veränderungen kommen, und wenn ich ein Ritual aus einem Grund nicht durchführen kann, dann stresst mich das und das möchte ich vermeiden, damit ich mich so ungebunden wie möglich auf die Route vorbereiten kann.