Alpinklettern ist nicht gleich Alpinklettern. Ähnlich wie bei den meisten anderen Sportarten, gibt es auch beim Klettern von Mehrseillängen gute Möglichkeiten, sich schrittweise an diese Spielart des Kletterns heranzutasten. Aber worin bestehen eigentlich die großen Unterschiede zum Sportklettern und was gibt es wirklich Neues, das man beim Alpinklettern beachten muss?
Gewartete Klettergärten und nicht überprüfte Mehrseillängenrouten
Die meisten Klettergärten in Tirol verfügen über einen „Halter“. Das heißt, dass die Routen, Stände, Zwischenhaken, etc. in regelmäßigen Abständen überprüft und gegebenenfalls ausgetauscht und lose Schuppen oder Steine regelmäßig entfernt bzw. beobachtet werden. Diese Art von Service gibt es bei Mehrseillängenrouten nicht. Sportklettergebiete wie die Chinesische Mauer in der Leutasch beinhalten oft auch sportklettermäßig eingerichtete Mehrseillängen, diese sind aber von der Halterschaft ausgeschlossen und werden nicht gewartet! Das bedeutet, dass man sich nicht darauf verlassen kann, dass bei jedem Standplatz eine solide Kette mit Karabiner hängt oder dass diese Routen durchgeputzt und frei von lockeren Steinen sind.
Für dich als Kletterer oder Klettererin bedeutet das also, dass Mehrseillängen auch ein höheres Maß an Eigenverantwortung und erforderliches alpines Wissen bedeuten!
Masterplan
Wie bei allen alpinen Unternehmungen, egal ob im Eis, Schnee oder Fels, braucht es auch beim Alpinklettern einen „Masterplan“. Wir machen uns Gedanken über folgende wichtige Punkte:
Zeitplan
Ein grober Zeitplan ist wichtig, damit wir uns darauf einstellen können, was uns erwartet. Folgende Elemente werden dabei beachtet:
- Zustieg
- Kletterzeit
- Abstieg (oder Abseilen)
- Pausen und Reserve (!)
Je nach Länge der Unternehmung, ergibt sich daraus die Startzeit und auch der notwendige Proviant, vor allem Flüssigkeit.
Wetter und aktuelle Bedingungen
Die Martinswand im August zu planen, ist ähnlich sinnvoll, wie die Nordwand der Großen Zinne im Dezember, außer man steht auf glühende Hitze oder im Gegensatz abgefrorene Zehen. Die Tour muss zur Jahreszeit passen und wir müssen uns vorher auch Gedanken machen, ob die Bedingungen in der Wand zum Klettern geeignet sind. Viele alpine Klettertouren sind im Frühjahr lange nass und brauchen einige Wochen warmes, stabiles Wetter bis sie wirklich auftrocknen.
Kletterpartner, Kletterpartnerin
Anders als beim Sportklettern sollte man sich beim Alpinklettern sehr gut überlegen, mit wem man unterwegs ist. Nicht nur die seiltechnischen Kenntnisse spielen dabei eine Rolle. Auch das persönliche Risikoverhalten und Selbsteinschätzung sind sehr wichtige Eigenschaften, die ich bei meinem Kletterpartner, meiner Kletterpartnerin hinterfrage, bevor ich in eine große Wand einsteige. Eine offene Kommunikation und das Ansprechen von heiklen Themen muss in einer Seilschaft unbedingt vorhanden sein!
Material
Tatsache ist, dass heutzutage fast keine Unfälle mehr aufgrund von schlechter oder mangelnder Ausrüstung passieren. Im Gegenteil – man wundert sich am Einstieg manchmal über die Fülle an neuem, ungebrauchtem Spezialequipment wie Friends in gut abgesicherten Sportklettertouren. Für uns gilt deshalb das Credo, die Ausrüstung der Tour anzupassen: Wieviele Expressen brauchen wir? Sind die Standplätze gut eingerichtet oder brauche ich Material zum Selberbauen? Wird über die Tour abgeseilt oder brauchen wir Zustiegsschuhe für den Abstieg? Das sind die kritischen Fragen, die es zu beantworten gilt, bevor wir loslegen.
Topo
Wer seine Klettertour gewissenhaft planen möchte, kommt an einem umfangreichen Studium des Wandtopos nicht herum. Das Topo beinhaltet alle Seillängen und beschreibt diese mit Schwierigkeit, Länge, besonderen Merkmalen oder Formen (Risse, Platten, Kamine, etc.) und gibt häufig Hinweise über das benötigte Material oder wichtige Tipps wie „Achtung Seilreibung!“ oder „Verhauer!“. Diese Tipps sollte man sich in der Regel sehr zu Herzen nehmen – man muss ja nicht Fehler der Vorgänger wiederholen.
Weitere Infos
Das Wandtopo alleine ist für eine gewissenhafte Tourenplanung aber zu wenig. Erfahrungsberichte, Fotos, Infos über den Einstieg, etc. sind sehr wertvoll, wenn man das Gebiet noch nicht kennt! Im aktuellen Klettermagazin LIMIT von Climbers Paradise findet ihr Berichte und Reportagen der populärsten Mehrseillängen Destinationen in Tirol. Ein Blick lohnt sich auf jeden Fall!
Aller Anfang ist schwer
Keine Angst – bis jetzt ist noch kein Meister vom Himmel gefallen und es braucht einfach etwas Zeit und Geduld, bis man ins Alpinklettern reinkommt. Die Auswahl des richtigen Tourengebietes ist vielleicht der wichtigste Tipp, den man sich für den Start zu Herzen nehmen sollte!
Hier drei Gebiete, die für den Start in die Mehrseillängen Karriere sehr gut geeigent sind:
- Muttekopfhütte: Der bekannte Stützpunkt in Imst (Tiroler Oberland) ist ideal, wenn man erste Erfahrungen im Mehrseillängen-Klettern sammeln möchte. Die Touren sind eher in den leichten Schwierigkeitsgraden angesiedelt, die Absicherungen und Standplätze in der Regel sehr gut. Außerdem sind die Zustiege von der Hütte kurz und es gehen sich bei stabiler Witterung auch zwei Touren an einem Tag aus. Außerdem gibt es im Umkreis der Hütte eine Vielzahl an Klettergärten zum Üben und Austoben.
- Karlsbaderhütte: Die bekannte Kletterhütte in den Lienzer Dolomiten ist vor allem im Hochsommer und bei heißen Temperaturen ein Spitzenplatz. Hinter der Hütte gibt es einen wunderschönen Gebirgssee, in dem man sich nach der Tour abkühlen kann. Die Vielfalt an Touren ist einzigartig: Von alpinen Klassikern bis ausgesetzten Gratklettereien und gut eingerichteten Plaisirtouren reicht die Palette. Da ist wirklich für jeden etwas dabei.
- Nassereith: Die Mehrseillängen am rechten Rand des Klettergartens Nassereith sind ein guter Tipp für den Spätherbst oder das Frühjahr, wenn weiter oben noch der Schnee liegt. Die Absicherung ist durchwegs sehr gut. Der Abstieg erfolgt über den Klettersteig – es muss also nicht abgeseilt werden.
Kletterkurse und professionelle Trainer
Wenn es keinen passionierten Kletterer, Klettererin in eurem Freundeskreis gibt, der oder die euch bei den ersten Schritten begleitet, könnt ihr euch in jedem Fall an lokale Alpinschulen oder Vereine wie den Alpenverein, Naturfreunde, SAAC oder ClimbHow wenden. Diese Institutionen bieten eine Vielzahl verschiedener Kurse an, in denen auch fortgeschrittene Kletterer und Klettererinnen noch etwas lernen können. Für spezielle Unternehmungen könnt ihr natürlich auch private Bergführer buchen: Unter www.bergfuehrer-tirol.at könnt ihr eure individuelle Suche starten.